Montag, 6. April 2015

Volkswirtschaft, Politik und Wahlen

Die wirtschaftliche Entwicklung in Grossbritannien ist seit dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 aufschreckend schlecht.

Doch während sich das Land auf die Wahlen vorbereitet, präsentieren sich die Politiker der Koalitionsregierung, die über Grossbritannien seit 2010 befinden, als die Hüter des Wohlstands, als die Leute, die es wirklich wissen, wie die Wirtschaft funktioniert, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Economics and Elections“) am Montag in NYTimes.

Und sie kommen damit im Grossen und Ganzen gut weg. Wähler haben nämlich ein ziemlich kurzes Gedächtnis und sie beurteilen die Wirtschaftspolitik aufgrund des gegenwärtigen Wachstums. 

Die Bilanz der Koalitionsregierung war über fünf Jahre hinaus schrecklich. Es sieht aber seit ein paar Quartalen ziemlich gut aus. Und das ist, was in der Politik zählt, legt Krugman kritisch dar.

Das ist ein erschütterndes Ergebnis.Weil es besagt, dass es keine oder nur geringe politische Belohnung für gute Politik gibt. In der Tat deutet alles darauf hin, dass es politisch schlau wäre, das Land während der ganzen Amtszeit einer sinnlosen Depression auszusetzen, nur um damit einen Spielraum für eine schwunghafte Erholung der Wirtschaft zu schaffen, und zwar kurz bevor die Wähler wieder an die Urnen gehen.

Das ist im Grunde genommen eine ziemlich gute Beschreibung dessen, was die derzeitige britische Regierung laut Krugman getan hat, obwohl es nicht klar ist, ob es beabsichtigt war oder nicht.

Der Punkt ist also, dass die Wahlen, die angeblich die Politik zur Rechenschaft ziehen sollten, diese Funktion scheinbar nicht gut erfüllen, wenn es um die Wirtschaftspolitik geht. Kann aber etwas dagegen unternommen werden?


Grossbritannien: Austerität und Wirtschaftswachstum im Streudiagramm, Graph: Prof. Paul Krugman in NYTimes

Eine mögliche Antwort ist, Wirtschaftspolitik aus dem politischen Raum zu trennen und an eine überparteiliche Elite-Kommission zu übertragen, so Krugman weiter. Dies setzt jedoch voraus, dass die Eliten wissen, was sie tun. Schliesslich haben amerikanische Eliten mehrere Jahre im Bann von Bowles-Simpsonism, einer völlig unangebrachten Besessenheit für Haushaltsdefizite verbracht. 

Und die Eliten in Europa waren mit ihrem Einsatz zugunsten von Austerität, die viel Schaden angerichtet hat, sogar noch schlimmer, wie der am Graduierten Zentrum der City University New York (CUNY) lehrende Wirtschaftsprofessor beschreibt.


Grossbritannien: Der strukturelle Haushaltssaldo (structural primary balance), Graph: Prof. Paul Krugman in NYTimes

Eine bessere, demokratischere Antwort wäre daher, eine besser informierte Wählerschaft zu suchen, damit die Berichterstattung über die Wirtschaftsfragen wesentlich verbessert wird. Aber die Politologen würden sich über die Idee lustig machen, ob sie überhaupt viel Unterschied machen würde.

Was sollen dann diejenigen von uns, die Wirtschaft studiert haben und sich darum kümmern, was in der realen Welt geschieht, tun? Die Antwort lautet sicherlich, dass wir unsere Arbeit tun sollen: versuchen, es richtig zu machen und unsere Antworten darauf so klar wie wir können, erklären.

Realistisch betrachtet ist die politische Wirkung i.d.R. am besten nur marginal. So soll es sein. Wahlen ermitteln, wer die Macht hat, nicht wer die Wahrheit hat, hält Krugman als Fazit fest.

PS: Man nennt es strukturelles Budgetdefizit (structural budget balance), wenn die Staatsausgaben über einen längeren Zeitraum stärker steigen als das Steueraufkommen. Wenn wir die Zinszahlungen nicht berücksichtigen, erhalten wir structural primary balance. Und wenn wir die Auswirkungen der einmaligen Haushaltsmassnahmen wie z.B. Erlöse aus Privatisierungen und Steueramnestie auslassen, bekommen wir underlying primary balance.


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