Sonntag, 1. Dezember 2013

Ökonomen versus Ökonomie

Die Volkswirtschaftslehre steht seit dem Platzen der Immobilienmarkt-Blase unter Anklage. Der Vorwurf ist bekannt: Die mainstream economics kann die Finanzkrise von 2008 nicht erklären. Die Debatte darüber, dass das, was schief gelaufen ist, auf die Kappe der Ökonomen geht, ist neulich durch zwei Artikel in The Guardian (hier Mainstream economics is in denial“ und hier Orthodox economists have failed their own market test“) wiederbelebt worden.

Studenten fordern nach Alternativen zu dem Dogma der freien Marktwirtschaft, die eine katastrophale Bilanz hat, schreibt der eine Kolumnist. Der andere meint, dass mainstream economics  daran schuld sei. Was ist aber „mainstream economics“ (orthodoxe Volkswirtschaftslehre)?

Simon Wren-Lewis nimmt in seinem Blog mainstream economics in Schutz. Die Kritik ist weit gefehlt, schreibt der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Ein häufiger Vorwurf, der von heterodoxen Ökonomen wiederholt vorgetragen wird, ist, dass die mainstream economics und neoliberale Ideen untrennbar miteinander verbunden seien. Die Volkswirtschaftslehre wurde natürlich verwendet, um Neoliberalismus zu unterstützen. Die Mainstream Ökonomie ist aber voller Ideen und Analysen, die eine breite und tiefe Kritik an diesen gleichen Positionen innehat. Die Ansicht, dass die beiden zusammenhängen, ist daher einfach dumm, unterstreicht Wren-Lewis.

Die Absurdität, die Mainstream Ökonomie mit allen aktuellen Problemen in Verbindung zu bringen, ist auch offensichtlich, wenn man an die Austerität denkt. Wren-Lewis sagt, dass er nicht müde wird, zu betonen, dass die Vorstellung, in dieser Krise harsche Sparmassnahmen zu treffen, eine verrückte Sache ist, was die Mainstream Ökonomie ohnehin zu sagen pflegt, und was von den Notenbanken praktiziert wird. Es gibt aber einige einflussreiche Ökonomen, die die Lehrbücher manchmal zu ignorieren oder zu vergessen scheinen, um eine bestimmte parteipolitische Linie zu unterstützen. Es ist und bleibt jedoch der Fall, dass die wirksamste Kritik an Austerität hauptsächlich von der orthodoxen Ökonomie ausgeübt wird.

Es ist ferner auch offensichtlich nicht wahr, warum die mainstream economics nicht in der Lage ist, zu verstehen, was zu der Finanzkrise geführt hat. Viele Argumente im aktuellen Buch („The Bankers‘ New Clothes“) von Anat Admati und Martin Hellwig stammen aus der mainstream economics, erklärt Wren-Lewis.

Ein Teil des Problems mit der Volkswirtschaftslehre ist, in welcher Weise sie unterrichtet wird, und wie Ökonomen sich selbst sehen. Die Vision, an der viele Ökonomen hängen, veranlasst, die Wirtschaft wie Physik wahrzunehmen. Dieser Ansatz verharmlost jedoch den Kontext, wie das Wissen sich bisher entwickelt hat. Das kann im Unterricht etwas Ablenkung hervorrufen. Aber es ist nicht wesentlich.


Eine alternative Sicht wäre daher, Wert darauf zu legen, wie sich die Volkswirtschaft entwickelt: Die Geschichte der Volkswirtschaftslehre kann so betrachtet werden, wie sie auf historische Ereignisse und Prozesse reagiert. Es war z.B. deutlich nützlich, die Theorie von Keynes auf die Great Recession anzuwenden, wie der Ablauf der Krise bisher unter Beweis gestellt hat.

Die Regierungen mögen aber angesichts der Verbindung zwischen der Wirtschaftstheorie und der Ideologie nicht immer auf die Weisheit der Ökonomen eingehen. Die Ökonomen sind daher gehalten, den politischen und den sozialen Zusammenhang zu berücksichtigen. Die Methodologie ist deshalb laut Wren-Lewis im Angesicht der begrenzten experimentellen und der ökonomischen Beweise (aber mit einer axiomatischen Struktur) ein wichtiges Thema in der Volkswirtschaftslehre.

Auch Paul Krugman verteidigt in seinem Blog die mainstream economics. Es ist ungerecht, die Lehrbücher wegen der Finanzkrise zu beschuldigen. Die Manie für die Deregulierung der Finanzmärkte kommt nicht aus der Analyse der Standard-Volkswirtschaftslehre (VWL). Ganz im Gegenteil legt Diamond-Dybvig, das kanonische Modell des Banking nahe, wie wichtig die Rolle des Staates ist, was die Garantien (Einlagensicherung usw.) betrifft, um sich selbst erfüllenden Bank-Runs zu verhindern und wie entscheidend die Regulierung des Finanzmarktes ist, um die Moral-Hazard-Problematik, die mit Garantien der öffentlichen Hand einhergehen, zu bekämpfen, erläutert der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Es stimmt, dass einige Ökonomen den Aufstieg des Schatten Bankensystems (shadow banking) verschlafen haben. Aber es ist ein Thema der Umsicht, nicht der Wirtschaftstheorie, so Krugman weiter.

Die Theorie der effizienten Märkte (EMT) verdient viel mehr Tadel für das Scheitern der Ökonomen, die Immobilienmarkt-Blase nicht erkannt zu haben. Die EMT wird im Übrigen in den Lehrbüchern immer als Baseline vorgestellt, nicht als offenbarte Wahrheit.

Was in der Antwort auf die Krise auffällt, ist die Entschlossenheit der politischen Entscheidungsträger, genau das Gegenteil zu machen, was die Lehrbücher der VWL nahelegen, was hätte getan werden sollen. Die Kürzung der Staatsausgaben, auch wenn die nominalen Zinsen nahe Null liegen (zero lower bound) oder die Vorstellung, die Zinsen schnell wieder zu erhöhen, obwohl die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach wie vor schwach ist, hat mit der orthodoxen VWL nichts zu tun, hebt Krugman hervor. In der Tat war es erstaunlich, zu beobachten, wie die Verbreitung von neu erfundenen Modellen genau das Gegenteil von dem, was die herkömmlichen Lehrbücher empfehlen, rechtfertigen.

Das Problem ist natürlich, dass viele renommierte Ökonomen der Standard-Lehre den Rücken kehren, im Namen ihrer politischen Neigungen, auch wenn die herkömmliche Theorie gut funktioniert hat.

Was ferner interessant ist, zu erfahren, welche Kritik Krugman und Wren-Lewis mit dem Schutz der mainstream economics auslösen, worauf Francesco Saraceno in seinem Blog hindeutet.

An Krugmans Argumenten ist was dran, dass die Standard-Lehrbuch-Analyse fast alles bietet, um die aktuelle Krise zu verstehen und die richtigen wirtschaftspolitischen Lösungen unterbreitet. Es kommt aber darauf an, was wir unter „textbook analysis“ verstehen, so Saraceno. Krugman deutet auf das IS-LM-Modell hin. Aber das Modell ist in den 1980er Jahren aus den Lehrbüchern praktisch verschwunden, mit der Begründung, dasss es nicht auf optimization beruht und nicht intertemporal ist usw. usw., erläutert Saraceno.

Fazit: Das IS-LM Modell mit wenigen kleinen Änderungen bleibt ein leistungsfähiges Werkzeug, um aktuelle Phänomene zu verstehen. Im Grunde genommen ist gegen neue Ideen nichts einzuwenden, die das Verständnis erweitern sollen. Aber solche Idee kommen nicht so leicht daher. Mark Thoma hat einmal festgehalten, dass wir unterdessen gelernt haben, was das new economic thinking bedeutet: alte Bücher lesen. Es scheint also, dass wir keine neue Ökonomie, sondern neue Ökonomen brauchen.

PP: Es gibt neue Lehrbücher, die versuchen, das IS-LM-Modell zu ersetzen, durch ein Modell um IS, Phillipskurve und geldpolitische Regeln, wo die nicht-vollkommene Konkurrenz eine entscheidende Rolle spielt, wie das Buch von Wendy Carlin und David Soskice, wie Simon Wren-Lewis darlegt.

PPS: Auf dieser Seite des Atlantiks wird der Begriff „Mainstream Ökonomie“ in den Medien u.a. oft für die Bezeichnung von konservativen Ökonomen (als Anhänger der neoklassischen Theorie, als Gegenpol zu Keynes) verwendet, was in der aktuellen Debatte etwas Verwirrung stiften kann. Das sollte im gesamten Zusammenhang deshalb mitberücksichtigt werden.


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