Donnerstag, 5. Februar 2015

Austeritätspolitik und was dahinter steckt

Der Fall Griechenland lässt aufhorchen. Athens Erfahrung mit Austerität inmitten einer schwer angeschlagenen Wirtschaft liefert ein wasserdichtes Datenmaterial für einen Trugschluss der Verallgemeinerung („fallacy of composition“): Was für einen einzelnen Haushalt oder Unternehmen (einzelwirtschaftlich) sinnvoll ist, muss nicht unbedingt zum Wohle des Ganzen (gesamtwirtschaftlich) sein.

Lernen die Ökonomen von dem „natürlichen Experiment“, dass die Sparmassnahmen, die von der Europäischen Kommission und der EZB von Anfang an Griechenland und den anderen Ländern in der Eurozone auferlegt wurden, nicht expansiv wirken, um Haushaltsdefizit zu senken und Wirtschaftswachstum zu fördern?

Keynesianer hatten davor gewarnt: Die Kürzung der Staatsausgaben wirkt sich kontraktiv aus. Und es ist eine Tatsache, dass die europäische Austeritätspolitik zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat. Das Wachstum wurde abgewürgt und die Schuldenquote (debt-to-GDP) ist nicht gesunken.

Griechenland hat sich an die Weisungen der Troika gehalten und liegt nun am Rande einer Katastrophe. Die Syriza, die Partei, die die Wahl mit einem überwältigenden Sieg gewann, will nun den Spiess umdrehen. Und das ist richtig so. Der US-Boxer Muhammed Ali, einer der herausragendsten Athleten des 20. Jahrhunderts sagte einmal: “Inside of a ring or out, ain’t nothing wrong with going down. It’s staying down that’s wrong.”

Jedes (fortschrittliche) Land hat erkannt, dass es notwendig ist, dem Einzelnen einen Neuanfang zu ermöglichen, damit Kapitalismus funktioniert, schreibt Joseph Stiglitz in einem aktuellen Artikel („A Greek Morality Tale“) in Project Syndicate.


Structural Budget Deficit, Graph: Prof. Simon Wren-Lewis
Der um die konjunkturelle Effekte bereinigte Haushaltssaldo


Wenn Europa zugelassen hat, dass die Schulden der Privatwirtschaft zu Schulden des öffentlichen Sektors werden, dann sollte Europa, und nicht Griechenland, die Konsequenzen tragen. Die derzeitige Misere in Griechenland, u.a. der massive Anstieg der Schuldenquote, ist in erster Linie auf die verfehlten Programme der Troika zurückzuführen, die Griechenland aufgedrängt worden sind, so der an der Columbia University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Simon Wren-Lewis zeigt in seinem Blog, wie der um die konjunkturelle Effekte bereinigte Haushaltssaldo in einzelnen Ländern aussieht. Vor allem Deutschland befürwortet und fördert einen ausgeglichenen Haushaltssaldo in der Eurozone, nach dem Motto: koste es, was es wolle.

Die entscheidende Frage ist aber nicht, ob es wünschenswert ist, Staatsverschuldung schrittweise abzubauen, sondern wann man es anstrebt. Sowohl die Theorie als auch die Praxis legen unmissverständlich nahe, dass man es während einer Liquiditätsfalle, wenn die Nominal-Zinsen nahe null liegen (zero lower bound) nicht tun sollte.

Das reale BIP wäre heute um 4% höher gewesen, wenn der staatliche Konsum und Investitionen in den USA, Grossbritannien und der Eurozone auf dem neutralen Pfad geblieben wären, und nicht gekürzt worden wären, unterstreicht der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Dieses Ergebnis kommt nicht von der Annahme eines unfassbaren Multiplikators, sondern von der Widerspiegelung der bereits eingeleiteten harschen Sparmassnahmen in Europa. Im Vergleich zum neutralen Verlauf wären der Konsum und die Investitionen der öffentlichen Hand 2014 in den genannten Ländern um 10% oder 15% höher gewesen, erklärt Wren-Lewis.

Eine Erklärung für den Umfang der Austerität ist, dass sie politischen Opportunismus repräsentiert, und zwar von denen, die einen kleineren Staat anstreben. Ihre Maxime lautet: "Der Staat ist das Problem und der Markt ist die Lösung."

Ein BIP-Verlust in Höhe von 4% bedeutet auf alle Fälle immense Kosten: ein hohes Mass an Ressourcen-Verschwendung. Die Inflation verläuft heute so niedrig, dass die EZB den eigenen Zielwert unterbietet. Inzwischen erwartet auch die EU-Kommission Deflation in der Eurozone 2015. Wegen der Besessenheit von Haushaltskonsolidierung kann heute sogar die Preisstabilität nicht mehr gewährleistet werden.

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