Dienstag, 3. September 2019

Tiefzinsumfeld, Mangel an Bundesanleihen und Helikoptergeld


Es gibt kein Recht auf einen positiven Zinssatz, schreibt Christian Odendahl in einem lesenswerten Beitrag bei Capital

„Ein Zins entsteht am Markt, wenn Ersparniswünsche auf Investitionswillen treffen. Der Wunsch nach sicherer Ersparnis ist weltweit sehr hoch; der Investitionswille niedrig.“

Derzeit werden alle Bundesanleihen mit Negativ-Rendite gehandelt. 

Die Rendite der deutschen Staatspapiere mit 30 Jahren Laufzeit ist vergangene Woche zum ersten Mal in der Geschichte ins Minus gerutscht. Das ist ein historisches Ereignis. 

Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen hat am Dienstag mit Minus 0,74% ein neues Tief markiert.

Eine Frage, die im Raum steht, ist, welche Investoren Anleihen kaufen, die einen Verlust garantieren, wenn sie sie bis zur Endfälligkeit halten?

Eine Antwort ist, dass Fondsmanager, die für Anleger eine positive Rendite anstreben, im Grunde genommen nicht viel von deutschen Staatsanleihen besitzen.

Eine aktuelle Analyse, die von FT aus London zitiert wird, zeigt, dass der gesamte Wert der ausstehenden Bundesanleihen seit 2014 aufgrund der Abneigung der deutschen Regierungen gegen Haushaltsdefizite zurückgegangen ist. 

Das Volumen der frei handelbaren Bundesanleihen am Markt ist jedoch viel stärker gesunken. Der Prognose der Analyse nach ist davon auszugehen, dass es bis 2024 unter 70 Mrd. EUR fallen wird, nachdem es ein Jahrzehnt zuvor bereits über 600 Mrd. EUR betragen hatte.


Die Nachfrage nach deutschen Bundespapiere schiesst durch die Decke, Graph: FT, Sept 02, 2019


Der steile Rückgang der Anleihen im Umlauf ist, unabhängig von der Höhe der Renditen, zum Teil sicherlich auf Währungsreserve-Manager bei Zentralbanken und Finanzinstitute zurückzuführen, die seit GFC (Global Financial Crisis) erstklassige und liquide Papiere (kaufen) halten müssen, um regulatorische Anforderungen zu erfüllen. 

Aber auch die deutsche Bundesbank gehört dazu, die im Rahmen der von der EZB durchgeführten QE-Politik Bundesanleihen in Höhe von mehr als 350 Mrd. EUR im eigenen Portfolio hält.


Das Volumen der frei handelbaren Bundesanleihen am Markt ist in den vergangenen Jahren stark gesunken, Graph: FT, Sept 02, 2019 


Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Knappheit an frei handelbaren Bundesanleihen, die ja als Benchmark für Vermögenswerte in der gesamten Eurozone gelten, die Entwicklung im Markt verzerrt. 

Die Tatsache, dass Berlins Besessenheit von einem ausgeglichenen Haushalt den „Versorgungsengpass“ (Angebotsknappheit) verschlimmert, darf aber dabei auch nicht übersehen werden. 

Darüber hinaus gilt, sich zu vergegenwärtigen, dass die EZB sich gerade anschickt, das QE-Programm im Euroraum wiederaufzunehmen, um die europäische Wirtschaft anzukurbeln. 

Das würde die Knappheit der Bundesanleihen ohne weiteres verschärfen, da die EZB wahrscheinlich die eigenen Kriterien, wieviel Papiere sie im Markt kaufen kann (darf), lockern dürfte. 

Und damit wächst der Druck auf Berlin, mehr Kredite aufzunehmen, um z.B. in die Infrastruktur, Bildung und Umweltschutz zu investieren, insbesondere dann, wenn die deutsche Wirtschaft allem Anschein nach auf eine Rezession zusteuert.


Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, USD: 1.45%, JPY: -0.30% und EUR (Deutschland): -0.71%, Graph: FT, Sept 03, 2019 

Fazit: Die Nachfrage nach sicheren und liquiden Bundesanleihen steigt. Das Angebot hingegen wird gekürzt, mit dem Hinweis auf die „Notwendigkeit“ eines ausgeglichenen Haushalts. Nach dem Motto, koste es, was es wolle: Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Renditen in dieser Konstellation (weiter) fallen. 

Es fällt einem vor diesem Hintergrund nicht schwer, zu sagen, dass es abwegig ist, wenn Politiker, die an fragwürdigen Konzepten wie „Schuldenbremse“ und „Schwarze Nulldogmatisch festhalten und damit die Verknappung von Staatsanleihen in einer stagnierenden Wirtschaft fördern, die Zentralbanken beschuldigen, die Zinsen „künstlichniedrig zu halten und die Sparer zu „berauben“. 

Und es ist heuchlerisch, zu verschweigen, dass eine fiskal-politische Expansion angemessen wäre, wenn die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze an Zugkraft verliert und daher nicht mehr viel zur Wiederbelebung der Wirtschaft beitragen kann.

Der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Philipp Hildebrand hat neulich in einem Interview mit dem Bloomberg TV gesagt, dass die Zeit für Helikoptergeld (helicopter money) in Europa gekommen sei.

In einem am 15. August veröffentlichten Paper notieren Hildebrand und Stanley Fischer von Black Rock, dass eine beispiellose Reaktion erforderlich sei, wenn die Geldpolitik erschöpft ist und die Fiskalpolitik allein nicht ausreicht. 

Diese Massnahme wird wahrscheinlich ein direktes Vorgehen („going direct“) beinhalten. Das bedeutet, dass die Zentralbank Wege findet, das Zentralbankgeld direkt in die Hände des öffentlichen und privaten Sektors zum Ausgeben überreicht. 

Das ist nichts anderes als Helikoptergeld.





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