Donnerstag, 27. Dezember 2018

Armutsrisiko, unsichere Arbeitsplätze und Europas Wirtschaftslehre


Deutschland hat unter den grössten Volkswirtschaften der EU den höchsten Anteil an schlecht bezahlten Arbeitsplätzen. 

Dies ist auf den Prozess der Ausgliederung des Produktionsprozesses und die Schwächung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zurückzuführen, sagt Christian Odendahl, Chefsvolkswirt von Centre for European Reform mit Sitz in Berlin.

Die aktuellen Eurostat-Daten zeigen, dass im Jahr 2017 jeder zehnte Arbeitnehmer in einem Haushalt unterhalb der Armutsgrenze gelebt hat, eine Zahl, die seit 2016 unverändert geblieben ist und den höchsten Stand markiert.

Mit dem Ausblick, dass das Wirtschaftswachstum sich im kommenden Jahr abschwächt, verschlechtern sich auch die Aussichten für besser bezahlte und stabile Stellen in der EU, berichtet FT aus London heute am Donnerstag und liefert dazu ein paar bemerkenswerte Abbildungen.

Viele Faktoren trage dazu bei, dass die Arbeitnehmer in der EU nicht in der Lage sind, ein angemessenes Familieneinkommen zu erzielen: verkürzte Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Alleinverdiener, Sozialabbau usw.


Das Armutsrisiko ist bei den meisten Arten von Arbeitsplätzen in Deutschland gestiegen, Graph: FT, Dec 27, 2018 


Folglich steigt die Armut, selbst unter Arbeitnehmern mit Zugang zu Sozialleistungen und Sozialschutz.

Für Menschen, die nicht in normalen Vollzeit-Stellen tätig sind, ist Lage viel schlimmer; die sind dreimal so häufig arm als sonst.


Der Anteil der unfreiwillig Teilzeit Beschäftigten bleibt in Spanien und Italien hoch, Graph: FT, Dec 27, 2018 

In der EU war 2017 fast jeder 6. Arbeitnehmer in befristeten und Teilzeitarbeitsplätzen von Armut bedroht. 

Im Jahr 2017 war 13% der Arbeitnehmer in Spanien und 12% der Arbeitnehmer in Italien armutsgefährdet, hauptsächlich als Ergebnis aus Unterbeschäftigung.


Der Anteil der erwerbstätigen Armen (working poor) ist in allen grossen Volkswirtschaften der EU gestiegen, Graph: FT, Dec 27, 2018 

Im vergangenen Jahr waren Zweidrittel der Arbeitnehmer in Italien und Spanien bereitwillig, einen Vollzeit-Job anzunehmen. Aber sie konnten keine entsprechende Stelle finden.

Selbst in Deutschland hat sich der Anteil der Arbeitnehmer, die armutsgefährdet sind, seit 2005 verdoppelt.


Teilzeitarbeiter und temporäre Arbeitnehmer sind am stärksten von Armut bedroht, Graph: FT, Dec 27, 2018 


Wie die EZB im heute veröffentlichten Econ Bulletin (Dec 27, 2018) meldet, sind die längerfristigen Inflationserwartungen in der Eurozone gesunken: 5y5y forward inflation-linked swap-Satz stand zuletzt bei 1,62%, und damit 7 Basispunkte niedriger als Mitte September.


Inflationserwartungen fallen im Euroraum, gemessen an 5y5 forward inflation-linked swap rates, Graph: EZB in: Economic Bulletin, Dec 27, 2018 

Es ist nicht verwunderlich, dass die EZB und Deutschland die Zielinflationsrate von 2% weiterhin verfehlen bzw. unterbieten: Die Lohnmoderation reduziert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und erhöht die Unterbeschäftigung und damit die Armut. 

Wenn alle Länder Europas die Ausgaben kürzen und versuchen, die wirtschaftlichen Probleme mit Lohnmässigung anzugehen, entstehen deflationäre Kräfte. Da im Euroraum weder eine hohe Nachfrage vorherrscht noch Kosten steigen, bleibt die Inflation gedrückt. 

Die Tatsache, dass der Unternehmenssektor Netto-Sparer ist, ist ein zwingender Grund für die Regierungen, die Versuche zur Haushaltskonsolidierung sofort einzustellen, weil die Wirtschaft sonst zusammenbricht. 

Das apodiktische Festhalten am neoklassischen Dogma, das sich an Finanz- und Marktdisziplin orientiert, hat Konsequenzen: Europas Krise ist die Krise der europäischen Wirtschaftskonzeption, die eindeutig gescheitert ist.







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