Montag, 23. Mai 2016

Helicopter Money ist Schnee von gestern

Was ist der Unterschied zwischen Fiskal- und Geldpolitik? Eine Frage, die von Ökonomen selten eindeutig geklärt wird, weil sie annehmen, dass alle im Allgemeinen wissen, worum es genau geht.

Das stimmt aber nicht ganz, zumal die Unterscheidung in den Nachwirkungen der Finanzkrise vor allem in der anhaltenden Debatte über das sog. Helicopter Money (HM) inzwischen etwas verwischt wurde, wie Eric Lonergan in seinem Blog beschreibt.

Ein wesentlicher Grund ist, die Volkswirte sind sich dessen bewusst, dass Fiskal- und Geldpolitik sich gegenseitig beeinflussen. Der unmittelbarste Bereich der Überlappung ist, wenn es um Finanzierung von Haushaltsdefiziten geht.

Während die Geldpolitik Veränderungen in Bezug auf die Bereitstellung der Notenbankgeldmenge (monetary base) betrifft, hat die Fiskalpolitik Veränderungen in Bezug auf Steuerveranschlagung und Staatsausgaben zum Inhalt, wie Lonergan kurz zusammenfasst.

Die herkömmliche Forschungsarbeit geht davon aus, dass die die Zentralbanken dem Schatzamt vollständig unterwürfig sind, wobei die Haushaltsdefizite die Geldpolitik zu Fall bringen können, wenn die Regierung an einem gewissen Punkt Geld druckt, um ihre Rechnungen zu begleichen.

Dies unterminiert aber die oben geschilderte Unterscheidung nicht. Es legt nur nahe, dass das Schatzamt an einem gewissen Punkt die Geldpolitik unter Kontrolle nimmt. In der Praxis hat die Geldpolitik den Vorrang.

In der Eurozone ist die EZB gesetzlich gehalten, so viel wie nötig Notenbankgeldmenge (Geldbasis) zu schaffen, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Und wenn die EZB mehr Anleihen braucht, um Offenmarktpolitik (OMO: open market operations) durchzuführen, kann sie von den Regierungen fordern, diese bereitzustellen.

Und Offenmarktgeschäfte sind nichts anderes als der Ankauf und der Verkauf von Anleihen am offenen Markt. Die mengenmässige Lockerung der Geldpolitik, d.h. die QE-Politik ist dabei keine Ausnahme. Das ist, was die EZB gegenwärtig macht: Kauf von langfristigen Staatsanleihen am Markt. Und neulich kauft die EZB sogar private Unternehmensanleihen.



Helicopter Money (HM), Graph: FT


Hier beginnt die Verwirrung: Obwohl die Anleihen in der Bilanz der EZB (oder in den Bilanzen der nationalen Notenbanken) bleiben, haben sie keine ökonomische Relevanz mehr, wie Paul De Grauwe in einem lesenswerten Beitrag schildert.

Zum Beispiel bezahlt das spanische Finanzministerium Zinsen auf diese Anleihen. Die spanische Zentralbank reicht diese Zinszahlungen am Ende des Jahres an das spanische Schatzamt zurück. Das bedeutet, dass die spanische Regierung keine Zinsen mehr für den Teil ihrer Schulden zahlt, der sich in den Büchern der spanischen Zentralbank (oder der EZB) befindet. Alle diese Regierungen kommen in den Genuss eines Schuldenerlasses, bekräftigt der im Europa Institute der London School of Economics lehrende Wirtschaftsprofessor.

Wenn die EZB Anleihen eines Eurostaates kauft, ist das so, wie wenn diese Anleihen aufhören würden, zu existieren, so De Grauwe als Fazit.

In diesem Sinne betont auch Charles Wyplocz in einem Artikel in FuW, dass die staatlichen Schuldtitel, die die Notenbanken im Rahmen der QE-Politik in den USA, in den meisten europäischen Ländern, im Vereinigten Königreich sowie in Japan aufkaufen, de facto nicht mehr existieren, weil ihre Bedienung ja nichts kostet: 

Der Staat zahlt die Zinsen an seine Notenbank, die ihren Gewinn wiederum der Regierung zukommen lässt, so der Wirtschaftsprofessor für International Economics im Graduate Institute of International and Development Studies in Genf.

QE ist daher nicht mehr Fiskalpolitik als OMO. Je nach institutionellem Regime fliessen die Gewinne und Verluste der Zentralbanken an das nationale Schatzamt (Finanzministerium). Und die gross angelegte QE-Politik (Anleihekaufprogramm) hat grosse Auswirkungen auf die Gewinne der Zentralbanken, und damit fiskalische Konsequenzen. Und dies untergräbt keineswegs die oben geschilderte Unterscheidung zwischen Geld- und Fiskalpolitik.

Wir können endlos darüber diskutieren, ob HM mehr Geld- oder Fiskalpolitik ist. Auch wenn die Versuche, zwischen den beiden zu unterscheiden, manchmal wichtige Punkte klären können, sind sie letztlich sinnlos, bemerkt Simon Wren-Lewis in seinem Blog.

Denn HM ist, was es ist. Argumente, die gestützt auf die Definitionen versuchen, daraus zu schliessen, dass die Zentralbanken darauf verzichten sollen, weil HM Fiskalpolitik ist, sind ebenso zwecklos, so der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor.

HM ist Fiscal Stimulus ohne sofortigen Anstieg der staatlichen Kreditaufnahme. Politiker, die gegen HM sind, wie z.B. Osborne und Merkel, liegen falsch, weil HM die angebliche Einschränkung (Finanzierung durch staatliche Verschuldung), die die weitere konjunkturelle Unterstützung verhindere, vermeidet. Denn HM wird nämlich nicht durch eine Erhöhung der Staatsschulden finanziert.

Das Entscheidende in Sachen money-financed Haushaltsdefizite ist politisch, hält Adair Turner in einem Kommentar in FT fest. Die Frage ist daher, ob wir Regeln und Verantwortlichkeiten entwerfen können, die gewährleisten, dass HM nur unter bestimmten Umständen und Mengen eingesetzt wird? Und das ist seiner Meinung nach möglich, wie der ehemalige Vorsitzende der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde (Financial Services Authority) auch in seinem Buch unterstreicht.








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