Samstag, 12. Oktober 2019

Verschuldung und die zukünftige Generation


Paul Krugman nimmt gewöhnlich kein Blatt vor den Mund. In seinem Blog bei NYTimes am Dienstag schreibt der amerikanische Professor für Volkswirtschaftslehre an der Princeton University, dass Europa ein Chaos ist, das weit über den Brexit hinausgehe.

Die grösste Bedrohung für die Zukunft Europas sei möglicherweise nicht die britischen Umwälzungen oder gar der demokratische Zusammenbruch in Ungarn und Polen, sondern der Dogmatismus und die Selbstgerechtigkeit, die immer noch in Europa‘s wichtigster Nation vorherrschen: Deutschland.

Die Aussage mag sich harsch anhören, aber es trifft zu. Denn Berlin zeigt immer noch keine Bereitschaft, die Fixierung auf einen ausgeglichenen Haushalt zu lockern.

Infolge der GFC im Jahre 2008 waren die Zinsen in Europa rasant angestiegen, Banken ausgefallen. Und es gab politische Unruhen.  Das Problem wurde verschärft, weil einige europäische Staats- und Regierungschef, insbesondere in Deutschland darauf beharrten, dass die Krise durch eine verschwenderische Haushaltspolitik der Regierungen verursacht worden sei. 

Folglich verhängten Berlin und Brüssel Südeuropa als „Abhilfe“ strenge Sparmassnahmen (fiscal austerity). Die Ausgaben wurden trotz der wachsenden Massenarbeitslosigkeit gesenkt und die Krise wurde damit weiter verschlimmert.


Ein Nachfragedefizit führt dazu, dass das tatsächlich BIP hinter dem Potenzial zurückbleibt und dieses Potenzial dann abnimmt, Graph: Josh Bivens, Economic Policy Institute, Sept 29, 2019


Die Argumente für Fiscal Stimulus sind heute überwältigend. Doch Deutschland hält am widrigen Sparkurs fest. Das bekannteste Argument, das gegen Haushaltsdefizite im Allgemeinen vorgetragen wird, lautet: „Wir wollen der künftigen Generation keine Schulden aufbürden“.

Staatsschulden sind aber keine Belastung für künftige Generationen. 

Im Gegenteil: Werden Investitionen in Umwelt, Infrastruktur und Bildung gemieden, steigt die Gefahr, dass Kindern und Enkelkindern keine bewohnbare Welt hinterlassen wird. Man denke an Klimawandel, Gletscherschmelze, Wasserknappheit, Verschwendung der Artenvielfalt usw. 

Ferner gibt es keinen Grund, die öffentliche Kreditaufnahme zu reduzieren, solange die Wachstumsrate der Wirtschaft den Realzins übersteigt. Die deutschen Staatspapiere werden gegenwärtig auf der gesamten Rendite-Kurve mit Negativzinsen gehandelt. Investoren sind also bereit, den Staat zu bezahlen, damit die öffentliche Hand Geld aufnimmt und investiert.

"Schuldenbremse" ist in der Tat eine Investitionsbremse und sie wirkt pro-zyklisch. Die Handlungsräume des Staates werden damit eingeschränkt, v.a. zu einer Zeit, wenn Unternehmen (aus welchen Gründen auch immer) Netto-Sparer sind. 


Annahmen, dass die Zinssätze die Wachstumsraten übersteigen, sind i.d.R. falsch. Die 5-Jahres Durchschnittswachstumsrate des BIP (G) und effektive Zinssätze für die Staatsverschuldung, (R), Graph: Josh Bivens, Economic Policy Institute, Sept 29, 2019

Auf der Mikro-Ebene mag die Kreditaufnahme wirklich so aussehen, wie wenn das Geld der Zukunft entnommen würde. Auf der Makro-Ebene jedoch bedeutet die Aufnahme von Krediten die Schaffung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten zwischen verschiedenen Personengruppen.

Darüber hinaus hat der Zins für die Schulden nichts mit Gegenwart oder Zukunft zu tun. Die jetzige Generation, die Schulden macht, zahlt die Zinsen sofort, genauso, wie es ihre fernen Nachkommen tun.

Die Ausgaben des Staates in Bildung, den ökologischen Schutz und den Ausbau der Infrastruktur bedeuten keine Belastung, sondern eine Entlastung für die zukünftige Generationen.

Haushaltspolitische Verantwortung sollte sich daher nicht an obskuren Zielgrössen wie „debt-to-GDP“ ratio (Verschuldungsgrad) orientieren, sondern an Vollbeschäftigung, die aufrechterhalten werden soll und die Ungleichheit, die verringert werden soll.





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