Sonntag, 3. Januar 2021

Coronavirus-Schock und Deflation im Euroraum

Die jährliche Inflationsrate im Euroraum lag im November 2020 bei minus 0,3%. Das bedeutet zwar keine Veränderung gegenüber Oktober.

Aber es ist eigenartig, dass die EU-Behörde (European Statistical) die Negativ-Inflation als „stabil“ bezeichnet, obwohl die Spatzen es von den Dächern pfeifen, dass die EZB das eigenhändig festgelegte Ziel seit mehreren Jahren unterläuft.

Friederike Spiecker und Heiner Flassbeck hatten kurz nach dem Ausbruch der Pandemie davor gewarnt, dass der Corona-Schock Deflation und Arbeitslosigkeit bedeutet.

Die Forderung an die Unternehmen, die während der Pandemie COVID-19 staatliche Beihilfen in Anspruch nehmen, keine Dividenden an die Aktionäre auszuschütten, hätte auch einen Verzicht auf Lohndruck (wegen der Gefahr einer deflationären Entwicklung) beinhalten müssen, so die Autoren in einem lesenswerten Blog-Eintrag auf Makroskop



Die jährliche Inflation im Euroraum, Graph: EU Eurostat, Jan 03, 2021


In den USA liess die Kombination aus steigenden persönlichen Einkommen und sinkenden Ausgaben die US-Sparquote durch die Decke schießen; von März bis November lagen die persönlichen Ersparnisse um 1,56 Billionen Dollar höher als 2019, ein Anstieg von 173%, wie NYTimes berichtet.

Die Gehälter und Löhne sind insgesamt weniger gesunken, als selbst ein aufmerksamer Beobachter der Wirtschaft vermuten würde. Die Gesamtvergütung der Arbeitnehmer sank in den USA in diesen neun Monaten nur um 0,5 Prozent, was eher einer milden Rezession als einer Wirtschaftskatastrophe gleicht.

Das mag unmöglich erscheinen. Große Teile der Wirtschaft sind stillgelegt worden; Millionen sind arbeitslos. 

Wie kann es also sein, dass die Zahl der Arbeitsplätze um 6 Prozent gesunken ist, das Arbeitnehmerentgelt aber nur um 0,5 Prozent? 


Amerikaner sparen eine Menge Geld während der Coronavirus-Zeit, Graph: Neil Irwin, NYTimes, Jan 01, 2021


Es hat damit zu tun, welche Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Neil Irwin bei NYTimes macht darauf aufmerksam, dass die Millionen von Menschen, die wegen der Pandemie nicht mehr arbeiten, überproportional häufig in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen tätig waren. 

Höher bezahlte professionelle Jobs waren eher nicht betroffen, und eine Handvoll anderer Sektoren hat geboomt, wie z.B. die Lagerhaltung und Lebensmittelgeschäfte, was zu höheren Einkommen für diese Arbeiter geführt hat.


Amerikaner geben weniger Geld während der Coronavirus-Zeit aus, Graph: Neil Irwin, NYTimes 


Die Arithmetik ist so einfach wie verwirrend, so Irwin weiter. Wenn ein Unternehmensleiter einen Bonus von 100.000 Dollar dafür erhält, dass er ein Unternehmen durch ein schwieriges Jahr geführt hat, während vier Restaurantangestellte, die 25.000 Dollar pro Jahr verdienen, ihren Job komplett verlieren, ist der Nettoeffekt auf die Gesamtvergütung gleich Null - obwohl menschlich gesehen viel Schmerz entstanden ist.

Ferner ist es ein makabres Schauspiel: Die Aktienkurse erreichen immer neue Höchststände, während täglich 3‘000 Menschen am Coronavirus sterben und 800‘000 Menschen pro Woche Arbeitslosenanträge stellen.

Vor diesem Hintergrund spricht die Bilanz der europäischen Wirtschaft Bände: von fiskalischer Austerität in die Deflation, von Lohnflexibilität in Unterbeschäftigung und von exportorientiertem Wachstumsmodell in Einkommensungleichheit.

Fazit: Das ist das klägliche Scheitern eines neoklassisch geprägten Wachstumsmodell in der Eurozone. Es lässt sich zugleich auch festhalten, dass es sich dabei um das grandiose Versagen des schlanken Staates (*) handelt.


(*) Italiens Gesundheitssystem konnte Corona-Virus-Patienten nicht versorgen.

Warum? Der Grund liegt auf der Hand.

Nach Angaben des italienischen Gesundheitsministeriums ist die Anzahl der Betten für Brustkrankheiten von 2010 bis 2018 um 19% gesunken.

Heute zahlt das italienische Volk den von der EU auferlegten Preis für "Sparmaßnahmen" (fiscal austerity).






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