Donnerstag, 27. November 2025

Deutschlands Sparfalle – und das stillschweigende Eingeständnis des IWF

Die jüngste Erklärung des IWF zu Deutschland gemäß Artikel IV ist ungewöhnlich unverblümt. 

Nach einem Jahrzehnt höflicher Umschweife spricht der Fonds nun offen aus, was bisher unausgesprochen blieb: Die deutsche Wirtschaft stagniert, weil das Produktivitätswachstum schwach ist, Strukturreformen ins Stocken geraten sind und die Exportmärkte die Überschussproduktion Deutschlands nicht mehr aufnehmen können. 

Hinter dieser diplomatischen Sprache verbirgt sich eine tiefere Wahrheit – eine, zu deren Institutionalisierung der IWF selbst beigetragen hat –, nämlich dass Deutschland nun den Preis für seine eigene langjährige Sparpolitik (austerity) zahlt.

Die Symptome sind bekannt: 

steigende Arbeitslosigkeit, ein schwächer werdender Arbeitsmarkt, ein Anstieg der unfreiwilligen Teilzeitarbeit (Unterbeschäftigung) und eine Wirtschaft, die in einer Zeit, in der der Welthandel fragmentiert ist, übermäßig von der Auslandsnachfrage abhängig ist. Die Inflation ist einfach deshalb gesunken, weil die Binnennachfrage eingebrochen ist. Das ist kein Erfolg der Politik, sondern ein Warnsignal.


German industrial output, Graph: FT, Nov 11, 2025.


Die politische Klasse Deutschlands hält immer noch an der beruhigenden Mythologie der „schwarzen Null” fest, als ob ausgeglichene Haushalte eine moralische Tugend und keine makroökonomische Zwangsjacke wären. Das Dokument des IWF macht jedoch deutlich, dass die Malaise des Landes struktureller Natur und selbstverschuldet ist. 

Jahrelange Unterinvestitionen in Digitalisierung, Energieinfrastruktur, Verkehr, Wohnungsbau und Bildung haben die Grundlagen für Wachstum ausgehöhlt. Ein Unternehmenssektor, der an billiges russisches Gas und eine boomende Nachfrage aus China gewöhnt war, sieht sich nun mit dem Wegfall beider Säulen konfrontiert.

Am beunruhigendsten ist die menschliche Dimension. Wenn die makroökonomische Steuerung auf Sparmaßnahmen und Schuldenbremse ("debt brake") reduziert wird, werden die Menschen zur Anpassungsvariable. Die Arbeitsplatzunsicherheit steigt. Junge Arbeitnehmer werden in Teilzeit- oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt. 

Das Lohnwachstum bleibt zurück. Regionale Ungleichheiten nehmen zu. Sparmaßnahmen verlangsamen nicht nur das BIP-Wachstum, sie untergraben auch die Menschenwürde und schwächen das Gefühl, dass Arbeit belohnt wird und dass die Gesellschaft in ihre eigene Zukunft investiert.

Was Deutschland braucht, ist nicht noch eine Predigt über „Wettbewerbsfähigkeit“ oder Reformen, die die Arbeiterschaft weiter schwächen. Es braucht einen Staat, der bereit ist, zu investieren – antizyklisch, strategisch und in großem Umfang. 

Das Tragische daran ist, dass jeder das Problem sieht, auch der IWF. Aber solange Deutschland die Finanzpolitik eher als Moralstück denn als Instrument der Wirtschaftspolitik betrachtet, bleibt die Stagnation eine politische Entscheidung und keine wirtschaftliche Notwendigkeit.


Germany Economic Data, Graph: IMF, Nov 26, 2025. 











Keine Kommentare: