Freitag, 24. Juni 2016

Das britische EU-Referendum und die Geldpolitik in Europa

Das Ergebnis des britischen Referendums, die EU zu verlassen, hat sicherlich eine Vielfalt von finanziellen, ökonomischen und politischen Auswirkungen.

Das britische Forschungshaus, National Institute of Economic and Social Research aus London prognostiziert folglich einen Rückgang des BIP, der Reallöhne und des privaten Konsums in Grossbritannien.

Denn jede künftige Vereinbarung mit den EU-Behörden wird für das Vereinigte Königreich weniger vorteilhaft als die gegenwärtige Binnenmarkt-Anordnung sein. 

Es wird demnach eine geringere Nachfrage nach britischen Exporten geben und es ist mit einer Abwertung der britischen Landeswährung zu rechnen. Dies wird auf Lohnwachstum und dem privaten Verbrauch lasten.

Während die aktuellen Ereignisse auch die SNB unter Druck bringen, sieht die wirtschaftliche Entwicklung in Europa insgesamt nicht gut aus, um es milde auszudrucken. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed die Zinsen in nächster Zeit erhöht, dürfte nun deutlich abnehmen.

Kathry Holston und Thomas Laubach deuten in einer neulich vorgelegten und lesenswerten Forschungsarbeit („Measuring the Natural Rate of Interest“) nachdrücklich auf die Vorteile einer international abgestimmten geldpolitischen Koordination hin, vor allem im Umfeld von besonders niedrigen Gleichgewichtszinssätzen (natural rate of interest), wo die sog. Spillovers sich verstärken, wenn die nominalen Zinsen nahe Null Prozent (zero lower bound) liegen.




Euro-Raum; Produktionslücke (output gap) und der natürliche Zinssatz, Graph: Kathry Holston und Thomas Laubach in: „Measuring the Natural Rate of Interest“, June 2016.



Während der aktuelle Verlauf der Konjunktur im Euro-Raum auf eine Stagnation hindeutet, fallen die Auswirkungen, die die niedrigen Zinsen entfalten, umso mehr ins Gewicht.



Die neutralen Zinssätze für die USA, Grossbritannien, den Euro-Raum und Kanada, Graph: Bloomberg

Denn das Zinsniveau, zudem die Wirtschaft in Vollbeschäftigung ist und die Preisstabilität als gewährleistet gilt, ist in den vergangenen Jahren deutlich gefallen, wie die Autoren der Studie unterstreichen.

Für den Euro-Raum schätzen Holston und Laubach den sog. neutralen Zinssatz auf minus 0,4% im Jahr 2015 (2007: 2%). Für die USA liegt der entsprechende Zinssatz auf plus 0,4% (2007: 2,3%).

Wenn der Zinssatz, der die Wirtschaft ins Gleichgewicht bringt, niedriger liegt als sonst, wird es für die Zentralbanken schwierig, die Geldpolitik zu „normalisieren“. Das heisst, dass die Zinsen weiterhin gedämpft bleiben dürften. Denn wenn es zu einer Krise (Rezession?) kommt, wollen die Zentralbanken über genügend Spielraum verfügen, darauf zu reagieren, um die Nachfrage anzukurbeln und die Wirtschaft weiter zu fördern.

Da aber die Politik den Einsatz von Fiskalpolitik aus ideologischen Gründen kategorisch zurückweist, bleibt die unkonventionelle Geldpolitik die einzige Möglichkeit im Spiel. Das bedeutet nichts Anderes als wie bisher weiter durchwursteln.

Wenn aber die Produktionslücke geöffnet bleibt und die Unterbeschäftigung sich erhöht und die Löhne nicht steigen, werden Millionen von Menschen davon betroffen. Kein Wunder, dass der Rechtspopulismus vor diesem Hintergrund für „Überraschungen“ sorgt, wie das heute bekannt gewordene Ergebnis des britischen EU-Referendums in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Und so gewinnt allmählich der Rechtsextremismus an Boden.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, in Erinnerung zu rufen, dass es die Anhänger des Ordoliberalismus sind, die sogar die unkonventionelle Geldpolitik der EZB (Anleihen-Kaufprogramm) in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft als „versteckte monetäre Staatsfinanzierung“ ablehnen.

Otmar Issing beispielsweise hat sich gestern in einem Interview mit dem Bloomberg TV für mehr „Wettbewerb unter Nationen“ in Europa ausgesprochen, ohne mit der Wimper zu zucken. Was hat der ehemalige Chef-Ökonom der EZB im Sinne? A rat race of nations?

Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept: Die Ausgaben des einen sind die Ausgaben des anderen. Die Welt als Ganzes kann ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht steigern. Und im Übrigen: Der Wettbewerb unter Nationen hat nichts mit dem sinnvollen Wettbewerb unter Unternehmen zu tun.

Mit dem Standort-Wettbewerb schadet das eine Land nicht nur einem Konkurrenten, sondern gleichzeitig einem Kunden. Man denke daran, dass die Finanzierungssalden aller Wirtschaftssektoren (private Haushalte, Unternehmen und der Staat) in Deutschland positiv sind. Nur das Ausland hat einen negativen Saldo.


Finanzierungsalden der Wirtschaftssektoren in Deutschland, Graph: Heiner Flassbeck in: Makroskop









Keine Kommentare: