Samstag, 5. Dezember 2020

Staatsverschuldung: Viel Lärm um nichts

Im Anschluss des vorangegangenen Blog-Eintrags ist es passend, auf eine sehenswerte Abbildung, die das Nordea Research Team am Freitag zusammengestellt hat, hinzuweisen.

Die Frage, warum die Zinsen so niedrig sind, steht seit der GFC 2008-2009 (Global Financial Crisis) im Mittelpunkt der gegenwärtigen makroökonomischen Debatte. Eine heiss-geführte Debatte, die sicherlich neue Erkenntnisse geliefert und die wirtschaftspolitische Theorie à la Keynes unterstützt hat. 

Die Frage lässt sich auch andersrum stellen: Wann werden die Zinsen steigen? 

Die Antwort ist sehr einfach: wenn die Wirtschaft wieder wächst. Punkt. Das heisst, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wieder zunimmt.

Eine weitere, verblüffende Abbildung in diesem Zusammenhang wurde heute von Paul Krugman auf Twitter präsentiert.

Ein Rückblick auf die Wirtschaft der Trump-Ära zeigt, wie à la Keynes die wirtschaftspolitischen Massnahmen in der Praxis zuletzt waren.

Der Chart zeigt das konjunkturbereinigte Haushaltsdefizit (cyclically adjusted budget deficit), was als ein grobes Mass für fiskalpolitische Anreize (fiscal stimulus) gilt.


Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der nominalen Zinsen, Graph: Nordea Market, Dec 04, 2020


Allerdings muss man hinzufügen, dass der Fiscal Stimulus via Trump schlecht gestaltet war: Unternehmenssteuersenkung hat Investitionen nicht angekurbelt.

Der versprochene „trickle-down“-Effekt hat sich als Luftschloss erwiesen.

Trotzdem ist die Position der GOP zur Staatsverschuldung unverändert: Die Republikanische Partei betrachtet hohe Schulden als existenzielle Bedrohung, wenn ein Demokrat im Weissen Haus sitzt.

Wenn ein republikanischer Präsident über grosse Haushaltsdefizite den Vorsitz führt, wie der Haushaltsdirektor von Donald Trump den Anhängern im vergangenen Jahr sagte, „kümmert es niemanden“, wie Krugman weiter darlegt.


Das konjunkturbereinigte Haushaltsdefizit, Graph: Prof. Paul Krugman, Dec 05, 2020, Twitter


Was wir in den letzten Jahren in Sachen die „Ökonomie der Staatsverschuldung“ beobachtet haben, fasst Olivier Blanchard, der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) als „fiskalischen Paradigmenwechsel“ zusammen.

Das heisst, dass die Staatsverschuldung (derzeit) kein grosses Problem darstellt und die Kreditaufnahme durch die öffentliche Hand für die richtigen Zwecke tatsächlich die verantwortliche Sache ist, die jetzt zu tun ist.

Auch David Andolfatto befasst sich in einem lesenswerten Beitrag auf der Webseite der St. Louis Fed mit der Frage, ob die Staatsverschuldung von Bedeutung ist.

Der leitende Vizepräsident hält die Analogie „Staat als Haushalt“ für „bestenfalls unvollkommen“: Die Analogie „Regierung – private Haushalte“, die irreführend ist, bricht aus mehreren Gründen zusammen.

Während ein Haushalt eine endliche Lebensdauer hat, hat eine Regierung einen unbestimmten Planungshorizont. Während also ein Haushalt seine Schulden schließlich zurückzahlen muss, kann ein Staat seine Schulden im Prinzip auf unbestimmte Zeit refinanzieren (oder prolongieren), argumentiert Andolfatto.


US BIP-Wachstum und die Rendite 5-jähriger US-Staatsanleihen, Graph: Prof. David Andolfatto, St. Louis Fed, Dec 05, 2020


In dem Maße, wie die Staatsschulden im Inland gehalten werden, stellen sie Vermögen (assets) des inländischen Privatsektors dar. Inwieweit es sich dabei um Nettovermögen handelt, ist umstritten, aber es besteht kein großer Zweifel daran, dass zumindest ein Teil davon auf diese Weise betrachtet wird. Dies hat zur Folge, dass sich der Einzelne durch die Erhöhung der Staatsverschuldung wohlhabender fühlt.

Wenn dieser "Wohlstandseffekt" (wealth effect) durch eine defizitfinanzierte Steuersenkung (oder Transfers) in einer Depression erzeugt wird, kann er dazu beitragen, die privaten Ausgaben anzukurbeln, so dass es allen besser geht. 

Wenn die Wirtschaft jedoch Vollbeschäftigung erreicht hat oder kurz davor steht, erhöht eine solche Politik stattdessen eher das Preisniveau, was zu einer Umverteilung des Reichtums führen kann.

Zusammengenommen legen diese Überlegungen nahe, dass wir die Staatsverschuldung vielleicht aus einer anderen Perspektive betrachten sollten. Insbesondere scheint es zutreffender zu sein, die Staatsverschuldung weniger als eine Form von Schulden und mehr als eine Form von umlaufendem Geld zu betrachten, erklärt Andolfatto.

Fazit: Warum denken aber Ökonomen anders über Schulden? Ein Teil der Antwort ist laut Krugman, dass wir einige Dinge darüber entdeckt haben, wie die Welt funktioniert; der Rest der Antwort ist, dass sich die Welt verändert hat.







1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich selber habe auch versucht mir einen Reim auf den makroökonomischen Umbruch zu machen, der mit dem "quantitative easing" (Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank) verbunden ist und Negativzinsen, die historisch mit Sicherheit als einmalig bezeichnet werden dürfen. Kann man es letztlich nicht so sehen:
Die klassische Geldpolitik steuert die Geldmenge durch Festlegen des Zinsniveaus, das klassischerweise positiv ist. Ein Absenken des Zinssatzes ist ausreichend, um damit ein Geldmengenwachstum zu induzieren und die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität sicherzustellen. Gleichzeitig muss die Zentralbank natürlich aufpassen, dass sie es nicht übertreibt und im Fall der Fälle bei einem Anziehen der Inflation den Zinssatz entsprechend anheben. Die Situation scheint sich nun schon seit einigen Jahren (seit der GFC insbesondere) grundlegend gewandelt zu haben. Ein Absenken des Zinssatzes ist nicht mehr möglich bzw. macht keinen Sinn mehr, weil er schon bei Null angelangt ist. Aus rein technischen Gründen macht es keinen Sinn mehr den Leitzins unter Null zu drücken. Stattdessen greifen die Notenbanken berechtigterweise zu dem Mittel des Aufkaufs von Staatsanleihen, um auf diesem Wege den Marktzinssatz effektiv unter Null zu drücken, was ihnen auch gelingt und wodurch sie auch zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung beitragen / beigetragen haben. Denn andernfalls wäre es in der Eurozone beispielsweise nach 2008/2009 mit Sicherheit zu einer Deflation und in deren Folge einer Rezession gekommen. Gleichzeitig kann sich der Fiskus zum Nulltarif bei der Zentralbank verschulden. Diese "operation" kann man sich saldiert so vorstellen: Die Zentralbank, die letztlich auch nichts anderes als der Staat selbst ist, und der Fiskus, der die Finanzpolitik macht und also auch Staat ist, machen folgendes: Der Fiskus gibt Anleihen aus, die Zentralbank kauft diese auf und reicht ihm dafür die entsprechenden Gelder aus. Stellt man sich vor, dass Zentralbank und Fiskus sozusagen ein und dieselbe Person / Institution darstellen, weil beide der Staat sind (zB in der Schweiz oder den USA; die Eurozone ist etwas vertrakter), so ist klar, dass der Staat letztlich Geld ausgibt oder Geld "druckt", um damit Ausgaben zu finanzieren. Er könnte das Geld auch, wie von Ben Bernanke vorgeschlagen, als Helikopter-Geld unter die Leute bringen (letztlich macht es aber natürlich mehr Sinn, dass der demokratisch gewählte Staat über die Mittelverwendung entscheidet). Entscheidend ist aber die Idee: Die Wirtschaft muss aufgrund deflationärer Tendenzen mit Liquidität versorgt werden. Ferner mangelt es gesamtwirtschaftlich an Nachfrage, die etwa Konsum oder Investitionen darstellen könnte. Beides, Liquidität und Nachfrage, stellt der Staat sozusagen zur Verfügung, zB indem er in Infrastruktur investiert oder im Sinne einer Umverteilungspolitik etwa eine konsequent negative Einkommensteuer einführt und damit den Konsum ankurbelt. Auf dem Papier bedeutet diese Politik, dass sich die Staatsverschuldung erhöht und die Bilanzsumme der Zentralbank ausweitet, aber eben nur auf dem Papier. Effektiv können beide Wirkungen gegeneinander verrechnet werden. Also in dem Maße, wie die Zentralbank dem Staat Geld leiht, kann die Staatsverschuldung gekürzt werden. Denn diese Schulden hat der Staat bei sich selbst. Interessant aus meiner Sicht wären die Fragen: Wie wird unter diesen Bedingungen die Wirtschaft sinnvoll gelenkt? Meines Erachtens sind die Höhe der Inflation und die Zinsstrukturkurve bzw. die Höhe der Zinsen, das Zinsniveau wesentliche Parameter für den Staat, um das Ausmaß der "selbst getätigten" Staatsfinanzierung durch die Zentralbank zu steuern, sie also je nach Situation weiter auszuweiten oder zurückzufahren oder aber zu stoppen und stattdessen den Zinssatz zu erhöhen.
Ich hoffe sehr, dass Gedanken, wie sie von Andolfatto oder Krugman vorgetragen wurden, auch endlich in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit und der herrschenden Ökonomie ankommen und ihnen die notwendige Geltung verschafft wird.