Freitag, 13. Januar 2017

Europa steckt immer noch in der Liquiditätsfalle


Paul Krugman hat in seinem Blog kürzlich bekräftigt, dass Europa sich noch ziemlich tief in der Liquiditätsfalle befinde.

Das bedeutet, dass Europa Fiscal Stimulus braucht, weil die Geldpolitik an Zugkraft verliert, während die nominalen Zinsen nahe Nullzins-Grenze (zero lower bound) liegen, d.h. wenn die Wirtschaft in der Liquiditätsfalle steckt.

Es mangelt ohne Zweifel an Nachfrage. Die mehr Ersparnisse der privaten Haushalte bedeuten weniger Nachfrage für Unternehmen. Deshalb ist es entscheidend, dass der Staat dafür sorgt, dass Sparen und Investieren wieder in Einklang kommen („sectoral financial balances“).

Die Ausgaben des einen sind nämlich die Einnahmen des anderen. Wenn der private Sektor spart, um z.B. Schulden zurückzuzahlen (deleveraging), bedarf es Investitionen der öffentlichen Hand, weil auch die Unternehmen sich mit Ausgaben zurückhalten, weil sie wegen der fallenden Nachfrage mit sich verschlechternden Absatzaussichten konfrontiert werden.

Die alte Doktrin von einem „balanced budget“ (ausgeglichenen Haushalt) und „fiscal austerity“ hilft daher nicht, um die Konjunktur wieder zu beleben. 

Da die Haushaltskonsolidierung in einem schwer angeschlagenen Umfeld der Wirtschaft falsch ist, fordert der IWF von der Eurozone, den fiskalpolitischen Spielraum zu nutzen, um die Nachfrage anzukurbeln. Auch die EZB fordert von Brüssel und Berlin, die akkommodierende Geldpolitik mit Fiskalpolitik zu begleiten, um die Produktionslücke (output gap) zu schliessen und die Beschäftigung zu stützen.


Entwicklung des strukturellen Defizits in Deutschland, Graph: Bundesministerium der Finanzen


Ludger Schuknecht, Chefökonom im Bundesfinanzministerium ist damit nicht einverstanden. Er wendet im am Dienstag veröffentlichten „Letter from the Chief Economist“ gegen den IWF und die EZB ein: 

Man soll sich nicht täuschen. Es gibt keinen fiskalischen Spielraum, sondern einen Schuldenberg in Europa. Es sei eine Illusion, durch „deficit spending“ Wachstum zu schaffen. Seiner Ansicht nach ist „fiscal space = fiscal illusion“.

Der Abteilungsleiter im deutschen Finanzministerium stellt den restriktiven Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU ins Zentrum seiner Ausführungen, um mittelfristige Erwartungen zu verankern. Und er redet von der Aufrechterhaltung von „sound finance“.

Was Europa heute braucht, ist aber eher eine „functional finance“. Die Einschaltung von automatic stabilisers reicht nicht aus, gesamtwirtschaftliche Investitionen zu animieren. 

Irgendwie scheinen die Menschen, zu vergessen, dass Korrelation nicht gleich Kausalität bedeutet. Die Haushaltsergebnisse sind meist endogen; oszillieren mit den sich verändernden Konditionen in der Realwirtschaft.

Die automatischen Stabilisatoren kennzeichnen das Budget in einem nahezu perfekten Tandem mit wechselnden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, gerät das Budget unter Druck (Defizit). Kommt es zu Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt, verbessert sich auch der Haushalt (Überschuss).

Der Anstieg des Haushaltsdefizits ist daher keine Ursache, sondern das Ergebnis der wirtschaftlichen Schwäche. Das Haushaltsdefizit hat die Welt gerettet, hat Krugman in seiner Kolumne bei NYT im Juli 2009 geschrieben.

Schuknecht hingegen vertritt den Standpunkt, dass eine expansive Fiskalpolitik aus deutscher Sicht nicht gerechtfertigt ist. Wirtschaftspolitische Impulse aus Deutschland hätten bescheidene grenzüberschreitende Auswirkungen und kaum Einfluss auf die europäische Nachfrage. „Wir müssen über eine Rückkehr zu mehr fiskalischer Normalität nachdenken. Wir dürfen nicht über unsere Verhältnisse leben“. 

Seine Argumentation ist bei allem Respekt nicht glaubwürdig. Deutschland ist schliesslich die grösste Volkswirtschaft Europas und verbucht einen allzu hohen (*) und wachsenden Überschuss in der Leistungsbilanz. Das bedeutet, dass Deutschland nicht über seine Verhältnisse, sondern unter seinen Verhältnissen lebt.

Wenn der Staat die Ersparnisse aufnimmt und investiert, muss sich die Situation im Privatsektor nicht verschlechtern (kein crowding-out), wenn mit dem geliehenen Geld sinnvolle Investitionen mit sozialem Nutzen getätigt werden (Kapitalstock). Es kann daher von Nettobelastung künftiger Generationen keine Rede sein. Die Erfahrung aus dem bisherigen Verlauf der Krise in der Eurozone sollte deshalb lauten, dass es keine expansive Fiskalkontraktion gibt.




(*) 

Die EWU hat ein (willkürliches und asymmetrisches) Limit von +6% für LB-Überschuss im Verhältnis zum BIP. Wird der Schwellenwert überschritten, wird ein sog. MIP-Verfahren (macroeconomic imbalance procedure) eingeleitet. Falls das betroffene Mitgliedsland keinen angemessenen Plan vorlegen kann, drohen ihm finanzielle Sanktionen (im Wert von 0,1% des BIP).

PS: Es ist insofern asymmetrisch als es im Fall eines LB-Defizits ein Wert von -4% gilt.





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