Buchbesprechung:
Simon Johnson & James Kwak: 13 Bankers. The Wall Street Takeover and the Next Financial Meltdown. Pantheon Books, New York, 2010.
„Ich habe 13 Banker in meinem Büro, die sagen, dass Sie, wenn Sie so weiter fahren, die schlimmste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg verursachen werden“, warnte Larry Summers, der stellvertretende US-Finanzminister unter Bill Clinton am Telefon Brooksley Born, die Chefin der Commodity Futures Trading Commison (CFTC). Das ist die amerikanische Behörde, die für Derivate zuständig ist. Frau Born war 1998 besorgt über die mangelnde Aufsicht, die ihrer Ansicht nach zu einer Verbreitung von Betrug führen würde. Die mangelnde Transparenz machte es zudem schwer, zu beobachten, welche Risiken sich in diesem metastasierenden Sektor aufbauten. Sie bereitete deshalb ein „concept paper“ vor, indem sie die Frage aufwarf, ob die Regulierung von Derivaten verschärft werden müsste. Unmittelbar danach erhielt sie aber den ominösen Anruf von Summers, dem heutigen nationalen Wirtschaftsberater der US-Regierung Barack Obama. Es war Summers, der den „Glass Steagall Akt“ von 1933, der für die strikte Trennung von Investment-Banking und Einlagengeschäften sorgte, Ende der 1990er Jahre wieder aufhob.
Simon Johnson, der ehem. Chefökonom des IWF, ist Professor an der MIT’s Sloan School of Management. James Kwak studiert zur Zeit Rechtswissenschaften. In seiner Karriere hat er als Software-Unternehmer und als Berater bei McKinsey & Company gearbeitet. Johnson und Kwak sind die Mitbegründer und Co-Autoren von Baseline Scenario, einem der informativsten Wirtschaftsblogs weltweit.
Im ersten Kapitel dieses Buches liefern die Autoren einen kurzen, aber prägnanten Überblick über die amerikanische Finanzgeschichte. Besonders hervorgehoben wird dabei Thomas Jefforson’s Skepsis über die konzentrierte Macht der Banken und die Finanzaristokratie. Aus heutiger Sicht ist die damalige Entwicklung sehr aufschlussreich. Im zweiten Kapitel zeigen Johnson und Kwak auf, wie sich die Finanz- und Wirtschaftskrisen in den sog. Entwicklungsländern (wie z.B. Thailand, Korea, Brasilien und Russland) in den 1990er Jahren entwickelt haben. All diese Länder hatten drei Hauptcharakteristika, welche das Potenzial für ernsthafte Instabilität innehatten: (1) Hohes Schuldenniveau, (2) gemütliche Beziehungen zwischen der Regierung und den mächtigen Personen in der Privatwirtschaft und (3) die Abhängigkeit von schwankungsanfälligen Kapitalzuflüssen aus dem Ausland. Die Unterschiede zwischen Indonesien und den USA sind zwar offensichtlich. Was aber das Verhaltensmuster der Krisen betrifft, ist der gemeinsame Nenner unübersehbar: Finanzkrisen sind das Ergebnis der grundlegenden politischen Schwäche, argumentieren die Autoren. Das Kernproblem ist die Konzentration wirtschaftlicher Macht in einer Elite, die die Fähigkeit hat, das politische System zu beeinflussen, betonen Johnson und Kwak immer wieder. Im dritten Kapitel geht es um den kometenhaften Aufstieg von Wall Street. Angefangen im Jahre 1980 mit dem legendären Ausspruch von Ronald Reagan, dem damaligen US-Präsidenten: „Der Staat ist nicht die Lösung für unsere Probleme, sondern der Staat ist das Problem“. Seitdem wurde der Finanzsektor einfach immer grösser. Das meiste Wachstum im Finanzsektor rührte aus der zunehmenden „Finanzialisierung“ der Wirtschaft („financialization of the economy“) her. Zwischen 1978 und 2007 kletterte der Anteil des Finanzsektors von 3,5% auf 5,9% des BIP zu. Das reale BIP ist von 1947 bis 1973 annualisiert im Durchschnitt um 4,0% gewachsen. Das sog. „boring banking“ hat also Finanzierung und Entwicklung von Innovation keineswegs eingeschränkt. Vielmehr hat es eine Phase des enormes Wachstums der Wirtschaftsleistung und des Wohlstands vorangetrieben. Durch die 1980er Jahren hat sich die Finanzdienstleistungsbranche von den Zwängen der Ära der Depression losgelöst. Diese Entwicklung entstand aus dem Zusammentreffen von mehreren Faktoren: (I) Exogene Ereignisse wie die Hoch-Inflation der 1970er Jahren, (II) das Aufkommen des akademischen Finanzwesens und (III) eine breite Deregulierung, begonnen während der Jimmy Carter Regierung und dann transformiert in einen Kreuzzug von Ronald Reagan. Das „exciting banking“ wurde durch vier Geldmaschinen des modernen Finanzwesens markiert: (a) High-Yield Bonds, (b) Verbriefung, (c) Arbitrage Trading und (d) Derivate. Schliesslich kam es durch die Öffnung von zahlreichen Schlupflöchern in der Gesetzgebung zur Entstehung des „bigger banking“. Das Ziel war, gross zu sein und Risiken einzugehen. Zwischen 1980 und 2000 ist der Anteil der Vermögenswerte, die von Geschäftsbanken, Wertpapierunternehmen und Verbriefung gehalten wurde, von 55% des BIP auf 95% gestiegen. Die Gewinne des Finanzsektors legten von einem Durchschnitt von 13% aller Unternehmensgewinne von 1978 bis 1987 auf 30% im Durchschnitt von 1998 bis 2007. Der Gewinn der Grossbanken ist noch kräftiger gestiegen.
Real Corporate Profits, Financial vs. Non-Financial Sectors, Graph : Courtesy of James Kwak
Das grundlegende Prinzip hinter jeder Oligarchie ist, dass Wirtschaftsmacht die politische Macht ausbeutet, erklären die Autoren. Im vierten Kapitel zeigen sie überzeugend auf, wie die Wall Street ihre wachsende Wirtschaftsmacht in politische Macht wandelte. Die Ideologie der Finanzinnovation und der Deregulierung wurde zur konventionellen Weisheit in Washington, argumentieren Johnson und Kwak. Die politische Macht wurde in den USA jedoch nicht durch Korruption und Austausch von Geld unter dem Tisch für politische Gefälligkeiten gekauft. Die Wall Street benutzte stattdessen ein ganzes Arsenal von anderen, völlig legalen Waffen in ihrem Aufstieg zur Macht: (i) Traditionelles Kapital; Geld, das seinen Einfluss direkt über Wahlkampfspenden und Aufwendungen der Lobbyarbeit ausübte, (ii) Human Kapital; Wall Street Veterane, die nach Washington kamen, um die Regierungspolitik zu formen, formten eine neue Generation von Dienerschaft und (iii) Kulturelles Kapital; die Ausbreitung und schliesslich der Sieg der Idee, dass ein grosser, anspruchsvoller Finanzsektor gut für Amerika ist.
Die US-Finanz-Elite verdankt zwar ihren Aufstieg nicht Bestechungen und Schmiergeldern oder Blutsbande zu wichtigen Politikern, den üblichen Quellen der Macht in den Emerging Markets, die von Crony Capitalism geplagt sind, wie im fünften Kapitel geschildert wird. Sie hat aber wie in vielen Schwellenländern eine Oligarchie konstituiert; eine Gruppe, die wegen ihrer wirtschaftlichen Macht auch eine politische Macht gewonnen hat. Die Geldmaschine wurde v.a. von (1) Zweckgesellschaften (SPVs), (2) der Gestaltung und Verbreitung von CDOs bzw. synthetischen CDOs und (3) Subprime-Kreditvergabe angetrieben. Das sechste Kapitel ist dem Thema „TBTF“ gewidmet. Wie der bisherige Verlauf der staatlichen Vorgehensweise in der Krisenbewältigung zeigt, geht die Wall Street aus der Krise gestärkt heraus. Es standen von Anfang an zwei Optionen zur Wahl: (a) Die „blank check“-Option und (b) Die „take-over“-Option. Unter Unberücksichtigung der Moral-Hazard-Problematik hat die Regierung die erste Option an den Tag gelegt, erklären Johnson und Kwak. Die Gewinne wurden privatisiert. Die Verluste wurden der Allgemeinheit aufgetragen. Die Grossbanken wurden folglich noch grösser: Bank of America hat Countrywide und Merrill Lnych geschluckt. Ihre Assets sind von 1'700 Mrd. $ Ende 2007 auf 2'300 Mrd. $ im September 2009 geklettert. JP Morgan Chase hat Bear Stearns und Washington Mutual erworben und ihre Vermögenswerte sind von 1'600 Mrd. $ auf 2'000 Mrd. $ gestiegen usw. Die Grossbanken sind mittlerweile in der Lage, sich Geld zu 0,78% günstiger zu borgen als kleinere Banken. Zwischen 2000 und 2007 lag dieser Wert im Durchschnitt bei 0,29%. Im Bankwesen, wo die Gewinne vom Spread zwischen dem Satz, zudem man das Geld leiht, und dem Satz, zu dem man es verleiht, abhängt, bedeutet 0,78% ein enormer finanzieller Vorteil. Im siebten und letzten Kapitel legen Johnson und Kwak einleuchternd dar, dass langfristig das wirksamste Hindernis für den Finanzsektor die öffentliche Meinung ist. „Die Herausforderung, mit der wir heute konfrontiert sind, ist dieselbe, wovor Präsident Roosevelt vor einem Jahrhundert stand: Die kartellrechtliche Bewegung („antitrust movement“) war ursprünglich eine politische Bewegung“, betonen die Autoren. Während der „saving and loan crisis“ sind zwischen 1985 und 1992 über 2'000 Banken gescheitert, als Folge von Deregulierung, Mismanagement und Betrug. Das Finanzsystem, das infolge von Krisen Millionen Menschen den Job kostet und dem Staat enorme Schulden aufbürdet, muss reformiert werden, sind die Autoren überzeugt. Eine wirksame Reform muss zwei wesentliche Elemente angehen, die die jüngste Finanzkrise erzeugt haben: (A) Die leichtsinnige Kreditvergabe und Kreditaufnahme, (B) die TBTF-Problematik. Das erste Ziel: Die einzelnen Teilnehmer in der Real-Wirtschaft zu schützen. Das zweite Ziel: Die Wirtschaft vor einer systemischen Krise, die von Grossbanken ausgelöst werde, zu schützen.
So wie bisher aber aussieht, bleibt die TBTF-Problematik von der Finanzreform ausgeschlossen. Das ist bedauerlich. Aber es heisst nicht, dass sie ungelöst bleiben muss. Johnson und Kwak schlagen daher beharrlich vor, die Grösse der Grossbanken zu begrenzen,und zwar auf 4% des BIP. Nach heutigen Daten bedeutet das eine Limite von 570 Mrd. $. Eine Deckelung der Grösse ist zwar eine notwendige Voraussetzung für die finanzielle Stabilität, aber nicht ausreichend. Weil Banken ausserbilanzielle Geschäfte tätigen, ist nach Ansicht der Autoren auch eine Limitierung nach unten vonnöten. Das Ziel ist, Banken, die Risiken eingehen, in der Grösse so einzugrenzen, dass daraus keine Drohung für die Stabilität des Finanzsystems ausgeht. Die Grenzen sollten zudem nicht von den Regulierungsbehörden, sondern vom Kongress festgelegt werden, halten die Autoren fest. Die wirtschafliche und politische Macht der neuen Finanzoligarchie ist gefährlich, sowohl für die ökonomische Prosperität als auch für die Demokratie. Die Arbeit, die Roosevelt vor einem Jahrhundert gegen die konzentrierte Finanzmacht in Angriff genommen hat, muss zu Ende gebracht werden. Pflichtlektüre für alle, die Rechtsordnung und Demokratie schützen wollen.
2 Kommentare:
"Exiting" banking wäre das "abgehende" Bankwesen - was wir uns wohl im nachhinein wünschen. Das "exciting" banking ist jenes "aufregende, spannende", das die lustigen "Massenvernichtungswaffen" hervorgebracht hat. Hübscher freud'scher vertipper.
kollegialen gruss, georg tillner
Ja, Sie haben recht. Ich hab' jetzt korrigiert.
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