Mittwoch, 30. September 2015

Niedriginflation im Euroraum und Hysterese-Effekt

Die Inflationsrate im Euroraum ist im September zum ersten Mal seit sechs Monaten erneut unter die Null-Marke gefallen, was den Druck auf die EZB zusätzlich erhöht, etwas zu unternehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Mario Draghi hat kürzlich davon gesprochen, dass die Inflation im Euroraum wieder negativ werden könnte. EZB-Präsident hatte davor mit Nachdruck betont, weitere Massnahmen zu ergreifen, falls sich die Aussichten in Bezug auf das Wachstum und die Inflation verschlechtern sollten.

Auch in Deutschland ist die Inflation im September in den negativen Bereich abgerutscht. Der CPI ist auf den niedrigsten Stand seit Januar gesunken.

Damit steigt der Abwärtsdruck auf die Preise im Euroraum. Ob damit eine Deflationsgefahr einhergeht, mag vorerst dahingestellt sein. Aber es ist ein Fakt, dass die Niedriginflation (lowflation) nicht weniger gefährlich ist.




Inflation im Euroraum wird wieder negativ, Graph: Bloomberg

Dienstag, 29. September 2015

Vom Geldabwurf aus dem Hubschrauber zur kalten Fusion

Insgesamt gab es seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 weltweit mehr als 600 Zinssenkungen, meldet Bank of America Merrill Lynch.

Zuletzt hat die Reserve Bank of India am Dienstag die Zinsen gesenkt, und zwar mehr als erwartet.

Ökonomen und Investoren befürchten eine Überschwappung der von China ausgelösten Schwäche der wirtschaftlichen Entwicklung in den sog. Schwellenländern auf die Volkswirtschaft der Industrieländer.

BofA Merrill Lynch schätzt eine Wahrscheinlichkeit von 25% für einen Rezession-artigen Einbruch der Konjunktur in diesem Jahr.

Während die Geldpolitik, seit die nominalen Zinsen nahe Null-Grenze (ZLB: zero lower bound) liegen, ausgelaugt ist, bestimmt die Austeritätspolitik immer noch die Tagesordnung, z.B. in Europa.

Es ist nun mehr als Helicopter Money erforderlich, sagt Steven Englander und trifft den Nagel auf den Kopf: “cold fusion” (kalte Fusion). So nennt er seinen Ansatz:

Inflationserwartungen: 5y5y Inflation Breakeven

Als ob die Wirtschaft sich erst dann erholen würde, wenn die Zentralbank die Zinsen erhöhte, wird immer wieder dieselbe Frage gestellt, wann die erste Zinserhöhung endlich kommt?

Die Fed wartet aber noch zu, die Zinsen zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder etwas anzuheben. Warum? Weil es keine Anzeichen für eine Überhitzungsgefahr in der Wirtschaft gibt.

Der Rückgang der marktbasierten Inflationserwartungen (gemessen am Fed-Modell von 5y5y TIPS breakeven) scheint zur Zeit die Notenbanker nervös zu machen, wie Ellen Zentner von Morgan Stanley mit der folgenden Abbildung hervorhebt.

Die geldpolitische Theorie legt nahe, die Zinsen nicht zu erhöhen, wenn die Inflation niedrig ist und Inflationserwartungen fallen. Sonst geht die Notenbank das Risiko ein, dass die entsprechenden Erwartungen sich permanent tief einbetten.



5y5y Forward Inflation Breakeven Rate, Graph: Morgan Stanley

Montag, 28. September 2015

Banken und CHF gemessen am REER

Wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist, lag der Schweizer Franken (CHF) gemessen am REER (Real Effective Exchange Rate) im Juli 2007 um rund 7% unter dem 10-Jahres-Durchschnitt.

Heute notiert der CHF ganz im Gegenteil um 17% über dem Durchschnitt, wie das FX Team von Morgan Stanley in einer letzte Woche präsentierten Analyse hervorhebt.

Vor dem Beginn der Rally in den vergangenen sieben Jahren war also der Franken unterbewertet. Bemerkenswert ist zugleich die rasche Ausweitung der Bilanzsumme der Banken von 2002 bis 2007.

Am Mittelpunkt der Bilanzverlängerung stand der anhaltende Ankauf von ausländischen Finanzanlagen, wegen der höheren Rendite-Perspektiven, was gleichzeitig die CHF-Schwäche unterstützte.



Schweizer Franken (CHF) wird nahe an historisch Höchstwerten gehandelt, Graph: Morgan Stanley

Sonntag, 27. September 2015

EZB, Zielwert und Niedriginflation

Die Interbank-Zinssätze entlang der EONIA (Euro OverNight Index Average) Kurve sind in der vergangenen Woche für die Laufzeiten von 1 und 3 Monaten kurz unter minus 20 Basispunkte gerutscht, was auf eine Zinssenkung hindeutet, wenn man das ganze Marktumfeld in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Überschussliquidität und EONIA mit berücksichtigt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die EZB ihr Inflationsziel von 2% seit Februar 2013 verfehlt bzw. unterbietet (Aug: 0,1%). Es gibt im Angesicht der anhaltenden Folgewirkungen der Finanzkrise von 2008 gute Gründe, zu denken, dass der von der EZB (aber auch von der Fed) avisierte Zielwert von 2% zu niedrig ist.

Anders als in den USA sieht die Situation in Europa aber v.a. wegen der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung besonders kritisch aus, so ähnlich wie in Japan.

Das Risiko, mit einem Zielwert von 2% (rasch) auf der Nullzins-Grenze (lower zero bound) zu landen ist eindeutig viel höher als wenn man einen Zielwert von z.B. 3% oder 4%.



Märkte sagen eine Einlagensatz-Senkung für die Eurozone voraus, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 26. September 2015

Grosse Erwartungen und Inflation

Es sieht derzeit so aus, wie wenn es eine ungewöhnliche Diskrepanz zwischen Realrenditen und Inflationserwartungen (gemessen an Breakeven-Sätzen) in den USA und in Europa gibt.

Die Realrenditen in den USA erscheinen angesichts der gegenwärtigen Inflationserwartungen zu hoch, während die Realrenditen in Europa gemäss Inflationserwartungen zu niedrig sind, bemerkt Morgan Stanley in einer am Freitag vorgelegten Analyse.

Die TIPS-Märkte (inflationsgeschützte Staatsanleihen) schätzen das Risiko, dass die Fed ihr Inflationsziel in absehbarer Zeit erreicht, als sehr hoch. Das legen heute jedenfalls die 5y5y und 10y20y forward real yields und inflation breakevens nahe.

Kann die Fed aber den geldpolitischen Kurs straffen, in dem Ausmass, dass sie das Inflationsziel nach unten verfehlt, also weiterhin unterbietet? Das scheint nicht glaubwürdig. Obwohl man sagen muss, dass auch die Mitglieder des FOMC nicht unfehlbar sind.

Das Team "Global Inflation Strategy" von Morgan Stanley denkt, dass die Inflationsrisikoprämie  (inflation risk premium) seit Juni 2014 wegen des Rückgang des Erdölpreises ins Negative gerutscht ist.

Bis zu rund 70% lässt die Volatilität im TIPS Index mit der Energie-Gewichtung des Konsumentenpreisindex (CPI) erklären. Da aber die meisten TIPS-Investoren das Risiko der Volatilität der Energiepreise nicht angemessen absichern können, verlangen sie heute eine höhere Inflationsrisikoprämie, erklären die Autoren der Studie.


US TIPS Breakeven Zinsstrukturkurve (term structure), Graph: Morgan Stanley


Freitag, 25. September 2015

Niedrigzinsen und Ersparnisse deutscher Haushalte

Mario Draghi hat kürzlich mitgeteilt, dass er eine Ausweitung der Liquidität durch die EZB derzeit nicht in Erwägung zieht.

Die Märkte preisen aber seit dem Verzicht der Fed auf eine Zinserhöhung auf der September-Sitzung (aus Sorge vor einer Abschwächung der Weltwirtschaft) zusätzliche Stimulus-Massnahmen entweder in Form von mehr PSPP or einer Zinssenkung ein.

Eine Rally am kurzen Ende der Ertragskurve deutet auf einen Einlagensatz um rund minus 0,25% hin. Das bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 50% für eine Zinssenkung um 10 Basispunkte, v.a. wenn man die historische Beziehung zwischen Überschussliquidität und EOINA- versus Einlagensatz-Spread betrachtet.



Märkte rechnen mit Zinssenkung durch die EZB, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 24. September 2015

SNB, ZIRP, NIRP

Die SNB wehrt sich gegen die Folgewirkungen der Finanzkrise aus dem Jahr 2008 nach wie vor mit voller Tatkraft. Das nachlassende Wachstum, sinkende Löhne und die gefährliche Abwärtsspirale aus fallenden Preisen in Europa sind für die SNB unerträglich.

Die SNB hat zunächst ZIRP (zero interest rate policy) in die Tat umgesetzt. Seit Dezember 2014 führt sie sogar NIRP (negative interest rate policy).

Die Macht der Negativzinsen wirkt nun allmählich: Seit Anfang August schwächt sich der Franken (CHF) gegenüber dem EUR ab. Gegenwärtig bewegt sich der Wechselkurs zwischen CHF 1,08 und 1,10 pro EUR. Langfristig betrachtet ist der CHF aber im Aussenhandel gegenüber Deutschland um 27% überbewertet, notiert Tobias Straumann in Finanz und Wirtschaft.

Ist die SNB an Niedrig- bzw. Negativzinsen schuld? Nein. Entgegen der vorherrschenden Meinung sind die Ursachen für Niedrigzinsen vielschichtig, wie Ben Bernanke sie in seinem Brookings Blog erklärt hat.

Was die wirtschaftlichen Wachstumsaussichten betrifft, ist die für die Eurozone von Brüssel und Berlin verordnete radikale Austeritätspolitik sicherlich ein Klotz am Bein, um es milde auszudrucken.



Swiss repo overnight index and 3-month money market paper yield, Graph: ACEMAXX-ANALYTICS

Mittwoch, 23. September 2015

Voreilige Zinserhöhung und Konsequenzen

In einer schnell wachsenden, dynamischen Wirtschaft hätten wir einen hohen Gleichgewichtszinssatz, was die hohen potenziellen Renditen auf Kapitalanlagen widerspiegeln würde.

In einer langsam wachsenden oder sogar rückläufigen Wirtschaft ist ein niedriger Gleichgewichtszinssatz zu erwarten, da die Investitionsmöglichkeiten begrenzt und relativ unrentabel sind.

Wenn die Kapitalerträge (wie heute) niedrig sind, ist ein Realzins erforderlich, der niedrig, ja sogar leicht negativ ist, um Vollbeschäftigung (Gleichgewichtszinssatz) zu erreichen

Wenn die Fed die Marktzinsen zu niedrig drücken würde, d.h. unter den Werten, die mit dem Gleichgewichtszinssatz nicht im Einklang stehen, dann käme es in der Wirtschaft zu einer Überhitzung, was Inflation auslösen würde. Das wäre ohne Zweifel eine unerwünschte Situation.



Realrenditen sind gemessen an langlaufenden TIPS (inflationsgeschützte US-Staatsanleihen) zu hoch, Graph: Morgan Stanley

Dienstag, 22. September 2015

Europas restriktive Haushaltspolitik und Schweizer Aussenhandel

Die Schweizer Wirtschaft, die unter Double Deflation leidet, meldet zwar im August einen Überschuss von rund 2,86 Mrd. CHF in der Handelsbilanz. Aber der Aussenhandel schrumpft weiter.

Die Ausfuhren sind im August im Vergleich zum Vorjahr um 4,5% gefallen. Die Einfuhren sind um 16,4% gesunken, wie die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) heute gemeldet hat.

Die Exporte nach China sind um 29% eingebrochen. Auch der Verkauf der Schweizer Güter in die EU ist um 9% gesunken.


Schweizer Exporte und Importe im August, Graph: Eidgenössische Zollverwaltung (EZV)

Montag, 21. September 2015

Verhindert die Fed die Zinswende?

Der Vorwurf, dass die Notenbanken für die gegenwärtige Niedrigzinsphase verantwortlich sind, ist bekannt, aber falsch.

Auch in Europa hätten manche Protagonisten die Hoffnung, dass die Zinswende auch hierzulande etwas näher gerückt wäre, wenn die Fed die Zinsen erhöht hätte.

Hält die Fed aber die Zinsen in der Tat bewusst gedrückt? Gibt es irgendwie eine Art Marktgleichgewicht, welches darauf hindeutet, dass die Zinsen heute höher liegen müssten, falls die Fed die Zinsen nicht nach unten pressen würde? Die herkömmliche Ansicht meint, dass dem so sei.

Was würde aber eine Zentralbank tun, wenn sie die Zinsen gedrückt halten wollte? Die Antwort liegt auf der Hand, wie John Cochrane in seinem Blog beschreibt: sie würde zu günstigen Zinssätzen eine Menge Geld leihen. 

Das Geld würde aus dem Diskontfenster (discount window) einfach in Strömen fliessen, wodurch die Fed Geld an Banken verleiht. Und die Banken würden den Rest der Wirtschaft mit dem billig aufgenommenen Geld überschwemmen.

Sonntag, 20. September 2015

Finnlands Wirtschaft im Würgegriff des Fiskalpakts

In einem Moment, in dem die Wirtschaft schwer angeschlagen ist, denkt Finnlands Regierung darüber nach, harsche Sparmassnahmen zu treffen.

Die finnische Wirtschaft wird seit drei Jahren von einer hartnäckigen Rezession überschattet. Und die meisten Ökonomen erwarten einen Abschwung das vierte Jahr in Folge.

Die Regierung will nun zwei öffentliche Feiertage und Lohn-Zuschläge für Überstunden und Sonntagsarbeit abschaffen. Die Arbeitnehmer sollen also bei mehr Arbeit weniger Lohn bekommen. Es gibt Kürzungen auch für Rentner.

Das Volk protestiert und will in den grössten Streik seit Jahrzehnten gehen. Doch besteht Ministerpräsident Juha Sipila darauf, die Arbeitskosten um 5% zu senken.

Es sei denn, die Gewerkschaften sind einverstanden, die Arbeitstage um 20 Minuten zu verlängern (ohne Lohnausgleich) und die Hälfte der Ferien zu streichen. Ein Berater der Gewerkschaften sagt, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmern dadurch um 3% schrumpfen würde, falls die Regierung die besagte Massnahme in die Tat umsetzen würde.


Finnland: Inflation im August (-0.2%), Graph: Statistics Finland

Der falsche Ruf nach Zinserhöhung

Wann wissen wir, dass die Zinsen allzu niedrig sind? Wenn es in der Wirtschaft Anzeichen für eine Überhitzungsrisiken gibt. Das heisst, wenn das tatsächlich erzielte Wirtschaftswachstum grösser ist das maximal mögliche Wachstum (Potenzialwachstum).

Ist das heute der Fall? Nein. Im Euro-Raum beispielsweise gibt es, wie die EZB vor ein paar Tagen mitgeteilt hat, eine Produktionslücke (output gap). Ein wesentlicher Teil der Produktionskapazität wird m.a.W. nicht genutzt, was durch die hohe Arbeitslosigkeit reflektiert wird.

In einer schwach wachsenden Wirtschaft bleibt der Gleichgewichtszinssatz tief und die Inflation steigt nicht.

Da die Inflation niedrig ist, verlangen Investoren keinen höheren Zins, um sich gegen die sinkende Kaufkraft zu schützen. Die Situation, in der die Wirtschaft steckt, bestimmt das nachhaltige Niveau der Zinsen, nicht unbedingt die Notenbank, die lediglich die kurzfristigen Zinsen steuert.

Die Zinsen sind also heute nicht künstlich niedrig. Dennoch: Da scheiden sich die Geister.

Tim Taylor deutet auf zwei aktuelle Berichte in seinem Blog hin. Die beiden Beobachtungen beginnen am selben Punkt. Aber sie gehen dann auf unterschiedliche Richtungen hin, was die Schlussfolgerung betrifft.



EUR 5y5y breakeven inflation, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 19. September 2015

Expansive Geldpolitik bedeutet nicht immer Inflation

Europas Börsen reagieren negativ auf den Zinsentscheid der US-Notenbank: Die Fed hat gestern die Geldpolitik unverändert gelassen. Der Leitzins (Fed Funds Rate), der heute im einem Band von 0% bis 0,25% liegt, wurde nicht erhöht.

Es ist merkwürdig, dass der Verzicht der Fed auf eine Zinserhöhung in Deutschland auf Kritik stösst.

Während Janet Yellens Position bei internationalen Institutionen wie dem IMF und der Weltbank Unterstützung findet, mahnen nicht wenige Ökonomen der neoklassischen Schule die “lange überfällige Leitzinserhöhung” an.

Der Ruf nach höheren Zinsen durch die Notenbank der Verfechter der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik gilt natürlich nicht nur für Amerika, sondern auch für Europa.


Market breakeven rates (inflation expectations), Graph: Morgan Stanley
0.2%Y over the next year
0.65%Y for 2017
only 1.3%Y in 5 years’ time

Freitag, 18. September 2015

SNB und die Macht der Negativzinsen

Die SNB hat am Donnerstag die Geldpolitik unverändert belassen.

Das Zielband für den 3-Monats-Libor bleibt bei -1,25% bis -0.25% unverändert. Auch der Zinssatz auf Sichteinlagen bei der Nationalbank beträgt unverändert -0,75%.

Bereits im ersten Absatz der schriftlich verteilten Presseerklärung betont die SNB, dass sie bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv bleibt und der Franken insgesamt immer noch deutlich überbewertet ist.

Die SNB hat zugleich die neue Inflationsprognose bekanntgegeben. Für das laufende Jahr wurde die Prognose um 0,2% zurückgestellt. Auch für das Jahr 2016 hat die SNB ihre Vorhersage um 0,10% nach unten korrigiert. Ab heute gelten demnach die folgenden Werte:

2015: -1,2%
2016: -0,5%
2017: +0,4%




EUR/CHF Wechselkurs; CHF-Aufwertung gegenüber dem EUR beträgt seit Jahresbegin 10%, Graph: Bloomberg


Donnerstag, 17. September 2015

Wirtschaftswachstum und Sparideologie

Die EZB teilt in ihrem heute vorgelegten Economic Bulletin mit, dass die Inflationserwartungen im Euro-Raum gemessen an marktbasierten Indikatoren (market-based inflation expectations) in den vergangenen 3 bis 4 Monaten gefallen sind.

Obwohl es laut EZB Anzeichen für eine Moderation der globalen Konjunktur gebe und die Rohstoffpreise sinken, fallen die Inflationserwartungen. 

Die EZB Ökonomen begründen die Entwicklung mit der geringeren Marktliquidität in den Sommermonaten und niedrigeren Inflationsrisikoprämien (inflation risk premia), die sich in die inflationsindexierten Swapsätze einbetten.




Inflationserwartungen im Euro-Raum gemessen an markt-basierten Indikatoren, Graph: ECB in: Economic Bulletin, Sept 17, 2015

Was ist Keynesianismus?

Was in der anhaltenden Debatte um eine angemessene Geld- und Fiskalpolitik in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft auffällt, ist, dass die Argumentation der Vertreter eines harschen Sparkurses zumeist mit den treffenden Voraussagen der Gegner der Austeritätspolitik nichts zu tun hat.

Das heisst m.a.W., dass die Kritik sich zumeist auf Scheinargumente stützt. Der Bedarf für eine Aufklärung ist daher akut. Es geht im Grunde genommen nicht um die Aussagekraft der Wirtschaftsmodelle, wie gut sie funktionieren, was sie taugen, sondern v.a. um die Auswirkungen der angewandten Wirtschaftspolitik.

Vor diesem Hintergrund bietet Paul Krugman in seinem Blog in NYTimes vier Punkte, um die keynesianische Sicht kurz zusammenzufassen:

(1) Weil es an Ausgaben mangelt, produzieren Volkswirtschaften manchmal viel weniger als sie in der Tat können. Und beschäftigen weniger Menschen als sie sollten. Solche Episoden können aus einer Vielzahl von Gründen vorkommen; die Frage ist, wie wir darauf reagieren.

(2) Es gibt normalerweise Kräfte, die die Wirtschaft in Richtung Vollbeschäftigung schieben. Aber sie funktionieren langsam; wenn man sich nicht einmischt, während die Wirtschaft schwer angeschlagen ist, bedeutet es, eine unnötige Zeit des Leidens über sich ergehen zu lassen.

(3) Es ist oft möglich, diese Zeit der Schmerzen und des Leids drastisch zu kürzen und die menschlichen und finanziellen Verluste durch “Geld drucken” (“printing money”) und den Einsatz der Macht der Zentralbank zur Geldschaffung zu reduzieren, um die Zinsen nach unten zu drucken.

Mittwoch, 16. September 2015

Produktionslücke im Euroraum im Lichte von neuen Methoden

Warum wird in einer Volkswirtschaft manchmal wenig hergestellt und weniger Menschen beschäftigt? Die Antwort liegt auf der Hand: Es gibt nicht genug Ausgaben.

Vor diesem ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Bestimmung des Potenzialwachstums für die Geldpolitik entscheidend ist. 

Um einschätzen zu können, ob in einer Volkswirtschaft Überhitzungsrisiken bestehen, wird das tatsächlich erzielte Wirtschaftswachstum mit dem maximal möglichen Wachstum (Potenzialwachstum) verglichen, wie die SNB beschreibt.

Mit Hilfe des Potenzialwachstums wird auch die Produktionslücke (output gap) geschätzt.

Nach einer aktuellen Schätzung (durch internationale Institutionen) beläuft sich die Produktionslücke im Euroraum auf -2,1% und -2,7%, wie die EZB in einem am Dienstag vorgestellten Bericht mitteilt.

Der potenzielle Output kann nicht direkt beobachtet werden; er muss geschätzt werden. Die Schätzung ist jedoch nicht einfach und unterliegt regelmässigen Überprüfungen.

Die EZB stellt in diesem Zusammenhang zwei Methoden, die auf Umfragen basieren, vor, um die konjunkturelle Flaute zu bemessen:


Produktionslücke (output gap) im Euroraum, Graph: ECB in: A survey-based measure of slack for the euro area, Sept 2015

PS: output gap = GDP – capacity GDP


Dienstag, 15. September 2015

Europas lahmende Binnennachfrage

In der Eurozone kann von einer wirtschaftlichen Erholung noch immer keine Rede sein.

Wie in der folgenden Abbildung deutlich zu sehen ist, kommt die Binnennachfrage kaum von Fleck. Aufgrund der vorherrschenden Politik der internal devaluation ist es nicht verwunderlich, dass die Binnennachfrage weiterhin unter dem Niveau von 2008-2009, dem Ausbruch der Krise verläuft.

Die Ausgaben des Privatsektors sind nach wie vor sehr gering, was wegen der sich verschlechternden Einkommenssituation eines der grössten Probleme in der Eurozone darstellt.

Das neoliberale Handelsblatt aus Düsseldorf mokiert sich unverfroren über Paul Krugman. Aber es ist ein Faktum, dass gerade diejenigen Ökonomen, die sich auf Keynes stützten, bereits 2009 voraussagten, dass, solange die Wirtschaft schwer angeschlagen ist,

(1) selbst ein enormer Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) nicht zu einem Anstieg der Inflation führt,


Reale Binnennachfrage im Vergleich USA versus Eurozone, Graph: Peter Praet, ECB, in: “The low interest rate environment in the euro area”, Sept 10, 2015

Fed-Zinsentscheid und monetäre Bedingungen

Die US-Notenbank schickt sich an, zum ersten Mal seit 10 Jahren die Zinsen zu erhöhen. Die meisten Investoren bleiben trotzdem zuverzichtlich, was die künftige Entwicklung der Zinsen betrifft.

Denn viele glauben einfach nicht, dass die Fed angesichts der jüngsten Turbulenzen am Finanzmarkt, des starken US-Dollars, der verhaltenen Inflation und der wachsenden Besorgnis um die wirtschaftliche Entwicklung in den sog. Schwellenländern all zu energisch vorgehen würde, den geldpolitischen Kurs zu straffen.

Jan Hatzius denkt, dass die Verschärfung der finanziellen Bedingungen in den vergangenen Wochen ungefähr drei Zinserhöhungen entsprechen.

Seiner Ansicht nach bedeuten die jüngsten Ereignisse, dass eine Zinserhöhung ausgeschlossen ist. Goldman Sachs’ Chefökonom bringt sogar die Möglichkeit ins Spiel, dass die Fed bis 2016 keine Zinserhöhungen beschliessen würde.

Die Märkte scheinen mit Hatzius Einschätzung zu teilen:

Die Zins-Futures legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung durch die Fed heute lediglich 28% beträgt.

Die Geldmarkt-Derivate deuten darauf hin, dass die Fed am bisherigen Kurs bis zum nächsten Jahr festhält.



Zinserwartung am US-Staatsanleihenmarkt (gemessen an US Staatspapieren mit 2 Jahren Laufzeit), Graph: FT

Montag, 14. September 2015

Austerität als Hobby

Spaniens Wirtschaft berappelt sich wieder. Die Wirtschaft hat vom ersten zum zweiten Quartal 2015 um 1% zulegt. Die auf eine schwere Rezession folgende Erholung der Wirtschaft wird nun in manchen Kreisen als Erfolg der Austeritätspolitik gefeiert.

Spanien profitiert zweifelsohne von der lockeren Geldpolitik der EZB. Aber die Arbeitslosigkeit bleibt mit 23% nach wie vor extrem hoch. Doch behaupten Ikonen des harten Sparkurses, dass die Gegner der Austeritätspolitik damit falsch liegen: die “fiscal austerity hat Erfolg”.

Was ist aber hierbei unter “Erfolg” zu verstehen? Die Ökonomen, die mit Hinweis auf Keynes, die Austeritätspolitik mitten in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft in der Eurozone zurückwiesen, begründeten ihren Standpunkt von Anfang an mit der Beschreibung des internal devaluation-Prozesses, wie Paul Krugman in seinem Blog in NYTimes mit der folgenden Abbildung unterstreicht.



Spaniens Wirtschaftswachstum, Graph: Paul Krugman in NYTimes

Sonntag, 13. September 2015

Schweizer Hypothekenzinsen in der Liquiditätsfalle

Die Einführung von negativen Zinsen durch mehrere europäische Zentralbank 2014 und 2015 hat zu Verzerrungen in einigen Marktsegmenten geführt, wenn v.a. Nicht-Banken-Player beteiligt sind, schreibt BIS, Bank für internationalen Zahlungsausgleich im heute vorgelegten Quarterly Review.

In den betroffenen Ländern haben sich die Banken bisher gezögert, negative Zinsen an Kleinsparer weiterzugeben. Das hat jedoch die Finanzierungskosten erhöht und Banken einem zusätzlichen Zinsrisiko ausgesetzt, beschreibt die sog. “Bank der Zentralbanken” mit Sitz in Basel weiter.

Die Schweizer Erfahrung legt nahe, dass die Banken den Verlust an Einnahmen und Hedging Kosten (verursacht durch die Negativzinsen) in die Preisgestaltung der neuen Hypotheken miteinbeziehen, wie in der Abbildung gesehen werden kann.


Schweizer Zinsen; im Januar 2015 hat die SNB den Mindestwechselkurs CHF 1,20 per EUR aufgehoben und Zinsen auf minus 0,75% gesenkt, Graph: BIS in: Quarterly Review, Sept 13, 2015

Wann wird die Fed die Zinsen erhöhen?

Aus einer globalen Perspektive sind die US Realrenditen mit 10 Jahren Laufzeit über 100 Basispunkte günstiger als die der Pendants.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Appetit der globalen Investoren nach US-Staatsanleihen stabil bleiben dürfte, berichtet Morgan Stanley in einer lesenswerten Analyse mit der folgenden Abbildung.

Die ausländischen Investoren haben sich kürzlich 30% der jüngsten TIPS-Auktion (4,5 Mrd. USD von 15 Mrd. USD der inflationsgeschützten Anleihen) mit 10 Jahren Laufzeit zugesichert.

Angesichts der Tatsache, dass die Realrenditen seit der Auktion im Juli gestiegen sind, dürfte die globale Nachfrage der ausländischen Investoren weiter wachsen.


Realzinsen im Vergleich, USD, EUR, GBP und JPY, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 12. September 2015

Wie die Austerität die Weltwirtschaft lähmt

Die Arbeitslosigkeit in Japan ist zwar niedrig, aber das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist träge, v.a. wegen der Alterung der Bevölkerung. Japan ist ein Land mit immer weniger Menschen im erwerbstätigen Alter (working-age adults). Das Wirtschaftswachstum war in den vergangenen Jahren dennoch viel besser als in Westeuropa.

Da die Wirtschaft wegen der anhaltenden Deflation in einer Falle steckt, befürchten japanische Geschäftsleute mögliche externe Effekte (spillovers) aus Chinas gegenwärtiger Wachstumsschwäche, schildert Paul Krugman seine Erlebnisse aus einem Besuch in Japan in seiner lesenswerten Kolumne (“Japan’s Economy, Crippled by Caution”) am Freitag in NYTimes.

Japan muss mit der Deflation irgendwie fertigwerden. Wenn die Bank of Japan (BoJ) Geld druckt (*), kauft sie damit Staatspapiere am Markt. In normalen Zeiten würde dadurch die Wirtschaft angekurbelt. Die Verkäufer sitzen heute aber auf dem Cash. 

Das heisst, dass das Geld nicht in Form von Kredit weitergegeben wird. Das derzeit sehr niedrige Zinsniveau widerspiegelt die mangelnde Investitionsnachfrage. Die Fed beispielsweise hat im Rahmen der QE-Politik seit 2008 für den Kauf von Staatsanleihen rund 3’000 Mrd. USD ausgegeben. Das Geld bleibt auf den Bankreserven bei der Fed.

Dabei ist das Ziel der QE-Politik, den Preis der Vermögenswerte steigen zu lassen, um Investoren und Verbraucher davon zu überzeugen, dass bald die Inflation kommt. Die Bemühungen der BoJ ernten aber kaum Früchte wie die der EZB


US-Notenbankgeldmenge (monetary base), Graph: FRED Fed St. Louis

PS: Notenbankgeldmenge = Sichtguthaben der Banken + Noten im Umlauf

Freitag, 11. September 2015

Schweizer Preisrückgang und Faktor Wohnungsmiete

Der Landesindex der Verbraucherpreise sind in der Schweiz im August gegenüber dem Vormonat um 0,2% gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat belief sich die Inflation auf minus 1,4%. Ohne Wohnungsmiete hätte der Wert minus 1,90% betragen.

In einem lesenswerten Bericht deutet Bloomberg darauf hin, dass der grösste Rückgang der Inflation seit sechs Jahrzehnten viel schlimmer gewesen wäre, wenn die Preise für Mietwohnungen nicht so stark gestiegen wären. Die Wohnungsmiete ist in der Schweiz seit Januar 2011 um 4% gestiegen.


Schweizer Inflation und Preise für Mietwohnungen, Graph: Bloomberg

Donnerstag, 10. September 2015

Was ist der langfristige neutrale Realzins?

Der langfristige neutrale Realzins ist dem Lehrbuch nach dann gegeben, wenn die Wirtschaft bei maximaler Vollbeschäftigung ist und die Inflation dem von der Zentralbank avisierten Zielwert entspricht.

Nüchterne Analysen legen nahe, dass der langfristige neutrale Realzins  (long-run neutral real interest rate) in den vergangenen Jahren zurückgefallen ist.

Es gibt im Wesentlichen zwei Arten von Kosten, die damit einhergehen: Das erhöhte Risiko betrifft v.a. (1) die Geldpolitik, die bei Nominal-Zinsen nahe null (zero lower bound) eingeschränkt wird. Und (2) die finanzielle Stabilität.

Das sind die Aspekte, die Narayana Kocherlakota in einem lesenswerten Referat neulich in Illinois mit Nachdruck hervorgehoben.

Der Fed-Präsident von Minneapolis diskutiert zugleich, wie die Fiskalpolitik eingesetzt werden kann, den langfristigen neutralen Realzins zu erhöhen.

Seiner Schlussfolgerung nach gefährdet der Rückgang des langfristig neutralen Realzinses die finanzielle Stabilität. Und die Finanzpolitik kann dabei Abhilfe schaffen, die Risiken zu mildern.



10y/10y Forward TIPS yields, Graph: Narayana Kocherlakota, Fed-Präsident Minneapolis, Sept 8, 2015

Mittwoch, 9. September 2015

Zinswende als Büchse der Pandora?

Wow! Namhafte Stimmen aus den USA und Europa senden heute eine deutliche Botschaft an die US-Notenbank, am geldpolitischen Kurs vorerst festzuhalten.

Die Fed soll die Zinsen nicht erhöhen, sagt Kaushik Basu in einem aktuellen Interview mit FT aus London. Die Fed läuft Gefahr, “Panik und Unruhe” in den sog. Schwellenländern (EM) auszulösen, falls sie auf der September-Sitzung beschliesst, die Zinsen zu erhöhen, mahnt der Chefökonom der Weltbank (World Bank), ohne mit der Wimper zu zucken.

Eine ähnliche Warnung hatte auch der IWF vor ein paar Tagen ausgesprochen: Die Fed soll sich an Daten (data-dependent) orientieren und nicht voreilig agieren, während es kaum Hinweise auf einen Lohn- und Preisdruck gibt, teilt die Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Washington mit.

Auch Martin Wolf befasst sich in seiner Kolumne in FT heute mit dem bevorstenden Zinsentscheid der US-Notenbank.

Der Beginn eines Zinserhöhungszyklus zum ersten Mal seit 11 Jahren würde ohne Zweifel einen wesentlichen Moment markieren: Es würde mehr als eine Zinserhöhung signalisieren. Die US-Wirtschaft ist aber weit entfernt von der “Normalisierung”. Die Inflation, wovor die Kritier immer wieder warnen, ist unsichtbar, unterstreicht der Chef-Kommentator der britischen Wirtschaftszeitung.


US-Arbeitslosigkeit und Inflation, Graph: Martin Wolf in FT