Dienstag, 30. April 2013

Bilanzsumme und Exit-Strategie der Zentralbanken


Eine immer wieder diskutierte Frage im Sog der Finanzkrise von 2008 ist die Ausweitung der Bilanzsumme der Zentralbanken und wie die Exit-Strategie gelingen kann.

Japan und Schweden bieten hierbei ein praktisches Anschauungsmaterial, bemerkt Antonio Fatas (h/t to Mark Thoma) in seinem Blog.

Die schwedische Zentralbank hat die Bilanz im Herbst 2008 um einen Faktor von 4 erweitert: von 5% des BIP auf mehr als 20%. 

Nachdem Sommer 2010 hat die die Sveriges Riksbank Darlehen in einem sehr schnellen Tempo zurückgezahlt, sodass die Bilanz sich um mehr als 50% verringert hat.



Bilanzsumme der Zentralbanken:  EZB, Fed und Riksbank im Vergleich, Graph: Prof. Antonio Fatas

Montag, 29. April 2013

Die Entlarvung der Austerität


Wer in den vergangenen Jahren gegen vorzeitige Austerität argumentiert hat, hatte es in den letzten Tagen gut. Akademische Studien, die die Austerität angeblich rechtfertigen, haben nämlich an Glaubwürdigkeit verloren, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („The Story of Our Time“) am Montag in NYTimes.

Die Hardliner in der Europäischen Kommission und anderswo beginnen jetzt, ihre Rhetorik abzuschwächen. Der Ton des Gesprächs hat sich jetzt definitiv verändert, betont der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor. Viele Menschen verstehen die Natur der wirtschaftlichen Probleme aber immer noch nicht und sehen nicht ein, warum es gerade jetzt ganz schlecht ist, die Ausgaben zu kürzen.

Was ist nach der Finanzkrise von 2008 passiert? Viele Menschen haben sich plötzlich mit Ausgaben zurückgehalten, entweder weil sie es vorzogen, oder weil sie durch ihre Gläubiger dazu gezwungen wurden. Unterdessen waren nicht viele Menschen in der Lage oder bereit, mehr Geld auszugeben. Das Ergebnis war ein steiler Rückgang der Einnahmen, was auch einen Rückgang der Beschäftigung verursacht hat, was ja bis heute anhält.

Was können wir aber tun, um die Arbeitslosigkeit zu verringern? Die Antwort lautet, dass es nun eine Zeit ist, Staatsausgaben überdurchschnittlich zu erhöhen, um die Wirtschaft zu stützen, bis der Privatsektor wieder bereit ist, mehr auszugeben. Der entscheidende Punkt ist unter den gegenwärtigen Bedingungen, dass die Staatsausgaben die Ressourcen vom privaten Gebrauch nicht verdrängen, sondern brachliegendes Potenzial wieder in Gang setzen. Die privaten Kreditnehmer werden also durch öffentliche Kreditaufnahme nicht verdrängt. Ganz im Gegenteil werden damit Mittel mobilisiert, die ansonsten ungenutzt darniederliegen.

Sonntag, 28. April 2013

The Federal Reserve and the Financial Crisis


Buchbesprechung:

Ben Bernanke: The Federal Reserve and the Financial Crisis. Lectures by Ben S. Bernanke. Princeton University Press, Princeton and London, 2013.


Es hat didaktische Vorteile, die jüngste Finanzkrise im historischen Kontext zu betrachten. Genau das macht Ben Bernanke in seinem neulich veröffentlichten Buch. Es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung einer Vorlesung, die der Fed-Präsident im März 2012 an der George Washington University gehalten hat. In der ersten Vorlesung erläutert Bernanke die Vorgeschichte der Gründung und die Aufgaben der US-Notenbank (Fed).

Was machen Notenbanken? Erstens versuchen sie, makroökonomische Stabilität zu erzielen: Ein stabiles Wirtschaftswachstum und eine niedrige und stabile Inflation. Zweitens wollen sie finanzielle Stabilität aufrechterhalten.

Welche Instrumente stehen Zentralbanken zur Verfügung, um diese zwei breiten Ziele zu erreichen? Das hauptsächliche Instrument ist (1) die Geldpolitik. Die Fed kann i.d.R. kurzfristige Zinsen erhöhen und senken. Dies geschieht durch den Ankauf und den Verkauf von Wertschriften im offenen Markt.

Das zweite Instrument ist (2) die Versorgung von Liquidität. Notenbanken können an Finanzinstitute kurzfristige Kredite gewähren. Diese Aktivität ist im Allgemeinen unter dem Begriff „lender of last resort“ bekannt. Wenn Finanzinstitute sich nicht refinanzieren können, stehen Zentralbanken bereit, die Liquidität anzubieten, um das Finanzsystem zu stabilisieren.

Es gibt ein drittes Instrument: (3) Regulierung und Aufsicht: Notenbanken spielen eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Überwachung des Banking Systems. Diese Aufgabe entfällt aber nicht allein auf die Notenbanken. In den USA gibt es z.B. eine Reihe andere öffentliche Behörden wie z.B. FDIC (Einlagensicherungsbehörde) und das Office of the Comptroller of the Currency (OCC), welche mit der Fed zusammenarbeiten, um das Finanzsystem zu beaufsichtigen.

Samstag, 27. April 2013

Einfaltspinsel gegen Keynesian Economics


Eine gebräuchliche Strategie gegen Keynesian economics ist, dass man unermüdlich vortäuscht, ein Einfaltspinsel zu sein, wie Noah Smith in seinem Blog dargelegt hat. Die Strategie geht natürlich auf, wenn man nicht so tut, als ob es so wäre, sondern wirklich ein ignoranter Depp ist.

Da Ken Langone am Freitag im Bloomberg TV Tiraden gegen Paul Krugman losgelassen hat, fühlt sich der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor gekränkt.

Schliesslich versucht Krugman, sich in seinem Blog und in seiner Kolumne in NYTimes so einfach wie möglich auszudrücken. Es stimmt aber andererseits, dass der Träger des Wirtschaftsnobelpreises sich auch nicht wie folgt artikuliert: „Die Menschen schnallen die Gürtel enger, sodass auch der Staat die Gürtel enger schnallen muss“. Warum nicht? Weil die Welt nicht so einfach ist. Manche Sätze mögen gut klingen. Aber sie sind dennoch falsch.

Was geht aber derzeit in der Wirtschaft ab? Krugman fasst es zusammen:

(1) Die Wirtschaft funktioniert nicht wie eine Familie, die ein bestimmtes Einkommen hat und einen anderen Betrag ausgibt, ohne dass es eine Beziehung zwischen den beiden Grössenordnungen gibt. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Wenn beide die Ausgaben kürzen, fallen die Einnahmen von beiden.

(2) Wir sind jetzt in einer Situation, wo viele Menschen die Ausgaben kürzen, entweder weil sie es wollen, oder weil sie dazu durch ihre Gläubiger gezwungen werden, während relativ wenige Menschen bereit sind, mehr Geld auszugeben. Das Ergebnis sind deprimierte Einnahmen und eine schwer angeschlagene Wirtschaft, mit Millionen von Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeit finden.

FDIC schliesst am Freitag zwei Banken


Die FDIC (Einlagensicherungsbehörde) hat am Freitag zwei Banken in Georgia und North Carolina geschlossen.

Damit sind seit Jahresbeginn 10 Banken verstaatlicht worden, nachdem im Vorjahr insgesamt 51 Banken gescheitert waren.

Die Zahl der Bankschliessungen im Jahr 2012 markiert mit 51 einen deutlichen Rückgang aus den beiden Vorjahren. Dennoch ist die Zahl ungewöhnlich hoch, da in einer stark wachsenden Wirtschaft jährlich i.d.R. nur vier oder fünf Banken im Durchschnitt geschlossen werden.

Die gestern verstaatlichten zwei Banken verfügen insgesamt über ein Anlagevermögen (assets) von 425,1 Mio. $ und Einlagen (deposits) von 418,10 Mio. $. Die Kosten der geschlossenen drei Banken betragen für die öffentliche Hand  schätzungsweise 104,5 Mio. $.

Bankpleiten:

2013: 10
2012: 51
2011: 92
2010: 157
2009: 140
2008: 25
2007: 3

Freitag, 26. April 2013

Schweizer Gold-Bugs und die SNB


Die Goldinitiative verlangt, dass (1) die SNB mindestens 20%  ihrer Aktiven in Gold halten muss. Darüber hinaus sollen (2) die Goldreserven unverkäuflich sein. Und die Bestände an Gold sollen (3) in der Schweiz gelagert werden.

Die Schweizer  Gold-Bugs setzen sich dafür ein, dass die Forderungen in die Bundesverfassung aufgenommen werden.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) äusserst sich i.d.R. zu politischen Initiativen nicht. Da die Goldinitiative die SNB und ihre Handlungsfähigkeit unmittelbar betrifft, hat Thomas Jordan, SNB-Präsident heute in einem Referat anlässlich der GV der Aktionäre der SNB zum Inhalt der Initiative Stellung genommen.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sind für die Sicherung der Währungs- und Preisstabilität nicht geeignet, ja sie sind sogar kontraproduktiv, bemerkt Jordan. Die geldpolitische Handlungsfähigkeit der SNB darf durch starre Vorschriften über die Zusammensetzung ihrer Bilanz nicht eingeschränkt werden. Gerade die jüngste Krise hat gezeigt, wie wichtig es für die SNB ist, die Bilanz bei Bedarf flexibel verlängern zu können. Würde die Initiative angenommen, müsste die SNB heute umfangreich Gold kaufen, um den Goldanteil von mind. 20% zu erreichen.

Die Aktivseite der SNB-Bilanz würde mit der Zeit aus unverkäuflichem Gold bestehen, hebt Jordan hervor. Die Steuerung des Zinsniveuas und der Geldmenge wäre dann laut Jordan nur über die Passivseite der SNB-Bilanz möglich, d.h. durch die Ausgabe von verzinslichen Schuldverschreibungen.

Dies hätte erhebliche finanzielle Folgen. Die SNB hätte keine Zinseinnahmen auf der Aktivseite. Auf der Passivseite müsste sie u.U. hohe Zinsen für Schuldtitel zahlen. Die Wirkung der Geldpolitik würde beeinträchtigt.

Austeritätspolitik - die Lösung der 1 Prozent


Wirtschaftliche Debatten enden selten  mit einem T.K.O. Aber die grosse politische Debatte der letzten Jahre zwischen Keynesianern, die erhöhte Staatsausgaben in einer Depression befürworten und Austerians, die für eine sofortige Kürzung der Staatsausgaben plädieren, kommt zum Schluss, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („The 1 Percent’s Solution“) am Freitag in NYTimes.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Standpunkt der Austerians implodiert. Die Position ist nicht nur, was die Vorhersagen über die reale Welt betrifft, völlig gescheitert, sondern auch die dafür angeführte akademische Forschung, die diese Position angeblich unterstützen sollte, hat sich als gespickt mit Fehlern, Auslassungen und zweifelhaften Statistiken herausgestellt.

Dennoch bleiben zwei Fragen übrig. Die erste: Wie konnte die Austerität Doktrin überhaupt in erster Linie so einflussreich werden? Die zweite: Wird sich die von Austerians vertretene Politik jetzt überhaupt ändern, nachdem sie mit ihren Behauptungen nun zum Futter von late-Night-Comics geworden sind?

Was die erste Frage betrifft, lässt sich hauptsächlich zwei Studien ausmachen, die die Austerität angeblich geistig rechtfertigen, aber einer strengen Überprüfung nicht standhalten. Unterdessen wurden die Vorhersagen der Austerians von der realen Welt schnell als Unsinn enttarnt. Doch hält die Austerität ihren Zugriff auf die Meinung der Leiten aufrecht. Warum?

Zum Teil liegt die Antwort im weit verbreiteten Wunsch, die Wirtschaft als Moralfabel zu betrachten. Nach dem Motto: „Wir leben über unsere Verhältnisse und wir werden einen unvermeidlichen Preis dafür zahlen“. Aber der Einfluss der Austerität Doktrin kann nicht erfasst werden, ohne über Klassen und Ungleichheit zu reden, legt Krugman dar.

Donnerstag, 25. April 2013

Aktien im langfristigen Anlagehorizont der Zentralbanken


Die Fremdwährungsreserven der Zentralbanken sind im Sog der Finanzkrise von 2008 in den vergangenen Jahren weltweit stark gestiegen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind die Devisenreserven der globalen Notenbanken 2012 um 734 Mrd. $ auf 10‘900 Mrd. $ geklettert.

Nehmen die Währungsreserven zu, wächst auch der Druck auf die Zentralbanken, die Bewirtschaftung der Devisenanlagen zu diversifizieren. Laut einer von Central Banking und RBS unter 60 Zentralbanken (mit insgesamt 6‘700 Mrd. $ Fremdwährungsreserven) erhobenen Umfrage hat sich ergeben, dass 23% der befragten Notenbanken bereits Aktien besitzen oder planen, demnächst welche zu kaufen, wie Bloomberg berichtet.

Bekannt ist seit dem 4. April, dass die japanische Notenbank (BoJ: Bank of Japan) den Anteil der Aktien (als ETF) im eigenen Portfolio der Devisenanlagen bis 2014 mehr als verdoppeln will, was ca. 35,2 Mrd. $ ausmachen würde.

Die Bank of Israel (BoI) hat 2012 erstmals in der Geschichte des Landes Aktien gekauft. Die SNB hat im vergangenen Jahr den Aktienanteil von 9% auf 12% erhöht. Auch die tschechische Zentralbank (CNB) hat den Anteil in Aktien inzwischen auf mindestes 10% aufgestockt. Die Bank of Korea (BOK) hat 2012 begonnen, Aktien aus China zu kaufen.

Wenn obendrauf die Dividenden-Rendite der Aktien mit 2,2% (gemessen am S&P 500 Index) die Rendite der sicheren Staatsanleihen 1,69% (gemessen am US-Treasury Bonds) übersteigt, scheint die Entwicklung auch nicht unlogisch.


Anlagestruktur der Devisenanlagen und CHF-Anleihen am Jahresende 2012, Graph: SNB Annual Report 2012

Warum Gold und Bitcoin lausiges Geld sind


Eine wünschenswerte Eigenschaft eines geldpolitischen Instruments ist, dass es seinen Wert über kurze Zeit hält. Die meisten Vermögenswerte haben diese Eigenschaft nicht, beschreibt David Andolfatto in seinem Blog: Ihre Kaufkraft schwankt bei sehr hoher Frequenz stark.

Man stelle sich vor, dass man für die Arbeit, die man vor ein paar Wochen geleistet hat, in Gold entschädigt wird. Die Kauftkraft des Lohnes ist neulich allein an einem Tag um 10% gesunken. Man stelle sich vor, dass man mit Bitcoin etwas gekauft hat. Und am nächsten Tag beobachtet man, dass der Wert von Bitcoin um 100% steigt. Das wäre frustrierend, legt der an der Research Abteilung der Federal Reserve Bank von St. Louis tätige Wirtschaftsprofessor dar.

Ist es wichtig, dass ein monetäres Instrument seinen Wert über längere Zeit hält? Andolfatto habe bisher daran geglaubt. Aber nun sei er sich nicht sicher. Während man es nicht gern sieht, dass die Inflation am Wert von Fiat Money zehrt, ist es auch nicht überzeugend, dass eine niedrige und stabile Inflation eine grosse Sache ist, erklärt Andolfatto. Seiner Meinung nach soll das Geld nicht ein langfristiges Wertaufbewahrungsmittel darstellen. Sobald man seinen Lohn bekommt, ist man frei, damit sofort Gold, Bitcoin oder andere Vermögenswerte zu kaufen. Inflation lastet auf festen nominalen Zahlungen. Die Lösung ist daher einfach, dass man diese Zahlungen an die Inflationsrate koppelt. Also keine grosse Sache.

Andolfatto vergleicht vor diesem Hintergrund die grossen Preisschwankungen in Gold und Bitcoin in den vergangenen Wochen, zumal die physikalischen Eigenschaften der beiden Objekte verschieden sind. Gold ist ein solides Metall. Bitcoin hingegen ist nur eine abstrakte Recheneinheit (wie Fiat Money). Aber trotz dieser physischen Unterschiede der beiden Objekte gibt es zwei wichtige Eigenschaften, die sie teilen: (1) Das Angebot ist fest (oder es wird zumindest so wahrgenommen) und (2) Die Nachfrage nach diesen Objekten kann heftig schwanken.

Dienstag, 23. April 2013

Einseitige Erholung der US-Wirtschaft


Wie einem Bericht des Pew Research Center zu entnehmen ist, ist das durchschnittliche Vermögen der 7% der reichsten Amerikaner (8 Millionen Haushalte mit einem Nettowert von über 800‘000$) von 2009 bis 2011 um rund 30% auf 3,2 Mio. $ (von 2,5 Mio. $) gestiegen.

Im Gegensatz dazu ist das durchschnittliche Vermögen der verbleibenden 93% Amerikaner (rund 111 Mio. Haushalte) um 4% auf 134‘000 $ (von 140‘000 $) gesunken.

Die Ergebnisse zeigen, dass Amerikas wirtschaftliche Erholung nicht nur träge erfolgt, sondern auch schmerzlich uneben, was den Nutzen betrifft. Die Rally an den Aktien- und Anleihe-Märkten hat das Vermögen der meisten wohlhabenden Amerikaner ohne Zweifel erhöht. Die obere 7% hat per Ende 2011 63% des Vermögens des Landes inne. Im Vergleich betrug derselbe Wert im Jahr 2009 56%.

Die einseitige Erholung der US-Wirtschaft wird durch niedrige Zinsen der US-Notenbank gefördert. Die Fed verfolgt mit Billiggeld das Ziel, die Preise für Vermögenswerte zu erhöhen.

Montag, 22. April 2013

Steckt die Wirtschaftsforschung in einer Sinnkrise?


Es fällt derzeit auf, dass einige Ökonomen dazu neigen, die wirtschaftliche Entwicklung auf der Welt unabhängig davon, wo sie gerade beobachtet wird, als rätselhaft zu bezeichnen.

Neulich hiess es in einem Artikel in FT, dass die Zentralbanker in der Euro-Zone „blind fliegen“. Die Very Serious People (VSP) sagen, dass sie nicht vollständig verstehen, was in den Industrieländern geschieht.

Im Blog NMTM von Tagesanzeiger aus Zürich ist heute von dem „japanischen Urrätsel“ die Rede. Japan sei von allen OECD-Mitgliedern das rätselthafte Land.

Wann die neue Mode in der Wirtschaftswissenschaft begonnen hat, v.a. die gegenwärtige ökonomische Situation als geheimnisvoll zu erklären, ist nicht leicht auszumachen. Aber vermutlich fällt der Zeitpunkt mit dem Beginn des grossen Experiments Finanzglobalisierung in den 1980er Jahren, angestossen durch Ronald Reagan und Margaret Thatcher zusammen.

Scheinbar hat man (Ökonomen und Politiker) sich heute entschlossen, alles und jedes (gestützt durch leistungsfähige Computer und Ökonometrie) empirisch zu testen, wie Heiner Flassbeck in seinem Blog beispielhaft darlegt.

Austeritätspolitik & Langzeitarbeitslosigkeit


Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst. So hat FDR in seiner berühmten Antrittsrede es formuliert, um die amerikanische Bevölkerung in der Grossen Depression zu motivieren.

Wenn aber künftige Historiker auf unsere ungeheuer fehlerhafte Reaktion auf die schwer angeschlagene Wirtschaft zurückblicken werden, werden sie wahrscheinlich nicht die Furcht per se tadeln, sondern unsere Politiker geisseln, die falschen Dinge befürchtet zu haben, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („The Jobless Trap“) am Montag in NYTimes.

Es war die übergeordnete Angst vor Schulden-Hysterie, die die Wirtschaftspolitik angetrieben hat. Immerhin waren es Ökonomen, die angeblich bewiesen hatten, dass das Wirtschaftswachstum zum Erliegen komme, wenn die Staatsverschuldung 90% des BIP erreiche, legt Krugman weiter dar. Nun hat sich herausgestellt, dass die rote Linie in Sachen Verschuldung ein Artefakt der fragwürdigen Statistik war, welches durch schlechte Arithmetik verstärkt wurde. Aber während die Furcht vor Schulden irreführt, gibt es eine reale Gefahr, die ignoriert wurde: die ätzende Wirkung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in sozialer und ökonomischer Hinsicht.

Fünf Jahre nach der Krise hält die hohe Arbeitslosigkeit an, mit fast 12 Millionen Amerikaner ohne Beschäftigung. Aber was wirklich auffällt, ist die hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen: 4,6 Millionen Menschen mit mehr als 6 Monaten und mehr als 3 Millionen Menschen mit mehr als einem Jahr. Und in diesen Zahlen werden diejenigen, die es aufgegeben haben, nach einer Beschäftigung zu suchen, weil es einfach keine Jobs gibt, nicht mit berücksichtigt.

Die entscheidende Frage ist, ob die Arbeitnehmer, die seit einer langen Zeit nicht beschäftigt sind, schliesslich als nicht beschäftigungsfähig angesehen werden, wie eine verdorbene Ware, die niemand kaufen will. Und es gibt leider wachsende Evidenz dafür, dass das Verderben der Langzeitarbeitslosen bereits geschieht, während wir zur Stunde darüber reden. Wir schaffen in der Tat eine permanente Klasse von arbeitslosen Amerikanern, beschreibt Krugman.

Sonntag, 21. April 2013

Interview: Prof. L. Randall Wray, University of Missouri-Kansas


L. Randall Wray is a professor of economics at the University of Missouri-Kansas City.


Around two years ago, you pointed to an economic error in R & R paper. You said (*) that correlation doesn’t imply causality. What do you think today in the face of the new debate on coding error triggered by a book review?

Yes, I co-authored a critique with Yeva Nersisyan that pointed to three major errors. (See here) First, the notion that one can simply aggregate across 800 years of data (from a variety of sources) and countries with very different monetary and fiscal policy arrangements to obtain a debt ratio threshold beyond which growth slows is highly questionable. Why should we believe the experience of a weak feudal government operating with a gold standard sheds light on a modern sovereign government that issues its own floating currency? The short answer is that we should not.

Second, the authors did not provide clear details that would allow one to separate governments that issued debt in foreign currency versus those that only issued debt in their own currency. They did not indicate which were on gold standards or had pegged exchange rates. In our view, that matters critically. A sovereign government that issues its own currency cannot be forced into involuntary default on debt denominated in that currency; it can always make payments in its own currency—a point recognized even by Alan Greenspan. On the other hand, countries that peg to gold or foreign currencies are often forced to abandon the peg, which is a technical default. And governments that issue debt in foreign currency are often forced into default. R&R simply lumped all this together because they apparently do not understand that these arrangements matter.

Third, we suspected that their results were driven by a few outliers. Further, you would need a lot more information to determine the cause and effect relation: does slow growth lead to rising debt ratios, or does high debt lead to slow growth? For example, it is quite clear that Japan’s high debt ratio today has resulted from decades of slow growth (its debt ratio was not high before it went into recession). For that reason, we wrote to them to get their data—to try to see which national experiences drove their results, and to check for “reverse causation”. They did not respond to our request.

Samstag, 20. April 2013

Zentralbanker in Europa fliegen ohne Sicht



Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble mahnt auf der Frühjahrestagung von IWF und Weltbank Sparsamkeit an und  legt nahe, dass die Amerikaner sich an der Austeritätspolitik Europas ein Beispiel nehmen sollen. Ergebnis: Keine Einigung.

Bemerkenswert war die Stimmung bereits im Vorfeld der Tagung: Die führenden Köpfe im Central Banking räumten ein, dass sie (angesichts der nahe liegenden Zinsen) „blind fliegen“, um die Volkswirtschaften in Europe zu lenken. Lorenzo Bini Smaghi, Mitglied des Direktorium der EZB bis Ende 2011 sagte, dass „wir nicht vollständig verstehen, was in den Industrieländern geschieht“, wie FT in einem Artikel („Central bankers say they are flying blind“) berichtet.

Was gibt es hier nicht zu verstehen? Nichts über die gegenwärtige Situation ist überraschend oder geheimnisvoll, ausser vielleicht das Fehlen einer absoluten Deflation (siehe bitte auch hier), wie Paul Krugman in seinem Blog bemerkt.

Es war eine enorme Finanzkrise. Die Kombination einer geplatzten Immobilien-Blase (auf beiden Seiten des Atlantiks)  und eines Überhangs der Verschuldung (auf beiden Seiten des Atlantiks) hat auf der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gelastet. Die Geldpolitik fand sich schnell auf der Null-Grenze (zero lower bound), während die Fiskalpolitik, nachdem sie am Anfang etwas Stimulus lieferte, bald kontraktiv wurde.


Primärausgaben (ohne Zinsaufwand) im historischen Vergleich, Graph: Prof. Paul Krugman

TIPS-Auktion mit Negativ-Rendite


Die Performance der TIPS (0,2%) lag seit Jahresbeginn zum ersten Mal seit fünf Jahren hinter der Performance der US Treasury Bonds (0,6%). Die Daten beziehen sich auf den Bank of America Merrill Lynch Index. Zuletzt waren die TIPS mit einer Wertentwicklung von minus 1,1% im Jahr 2008 hinter der Performance der US-Staatsanleihen, die 14% betrug, zurückgeblieben.

Auf der Versteigerung der TIPS mit 5 Jahren Laufzeit am Freitag hat sich eine negative Rendite von -1,311% ergeben. Erwartet worden war eine Rendite von -1,384%. Gebote beliefen sich insgesamt auf 39,2 Mrd. $. Zugeteilt wurden 17.9 Mrd. $.

Einige Markt-Kommentatoren beginnen nun, die dramatische TIPS-Auktion so zu interpretieren, als ob es sich dabei um den Anfang einer Disinflation/Deflation-Ära handeln würde. Die Entwicklung ist aber ein Nebenprodukt einer Verkettung unglücklicher Umstände, bemerkt Tiffany Wilding von Morgan Stanley in einer gestern vorgelegten Forschungsarbeit.

Das überraschende Ergebnis der TIPS-Versteigerung mit einer negativen Rendite lässt sich womöglich dadurch erklären, dass die gegenwärtige Abschwächung im Rohstoffmarkt, Abflüsse aus TIPS-Finanzierungsgeschäften und der milde Verlauf der Kerninflation zu einem stop-out im Break-even Carry-Trade beigetragen haben.


5y5y Forward TIPS Breakevens, Graph: Tiffany Wilding, Morgan Stanley

FDIC schliesst drei Banken am Freitag


Die FDIC (Einlagensicherungsbehörde) hat am Freitag zwei kleine Banken in Florida und eine in Kentucky geschlossen.

Damit sind acht Banken im Jahr 2013 verstaatlicht worden, nachdem im Vorjahr insgesamt 51 Banken gescheitert waren.

Die Zahl der Bankschliessungen im Jahr 2012 markiert mit 51 einen deutlichen Rückgang aus den beiden Vorjahren. Dennoch ist die Zahl ungewöhnlich hoch, da in einer stark wachsenden Wirtschaft jährlich i.d.R. nur vier oder fünf Banken im Durchschnitt geschlossen werden.

Die gestern verstaatlichten drei Banken verfügen insgesamt über ein Anlagevermögen (assets) von 250,2 Mio. $ und Einlagen (deposits) von 240,0 Mio. $. Die Kosten der geschlossenen drei Bank betragen für die öffentliche Hand  schätzungsweise 50,2 Mio. $.


Bankpleiten:
2013: 8
2012: 51
2011: 92
2010: 157
2009: 140
2008: 25
2007: 3


Freitag, 19. April 2013

Das R & R Fiasko und die Austeritätspolitik


Im Zeitalter der Information können mathematische Fehler zu einer Katastrope führen.  Der Mars Orbiter (Erkundungssatellit) stürzte ab, weil die Ingenieure vergessen hatten, metrische Abmessungen umzurechnen. JPMorgan Chase’s „London Whale“ ging schief, zum Teil, weil der Modellierer durch eine Summe statt durch einen Durchschnitt dividiert worden ist. Und genau so zerstört ein Excel Kodierungsfehler die Volkswirtschaften der westlichen Welt.

So beschreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne (“The Excell Depression”) am Freitag in NYTimes, was bisher geschehen ist: Anfang 2010 legten zwei Harvard-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff eine Forschungsarbeit („Growth in a Time of Debt“) vor, indem sie einen kritischen „Grenzwert“ als Wendepunkt für die Staatsverschuldung ausmachen. Wenn Schulden 90% des BIP übersteigen, behaupten die Autoren, dann schrumpft die Wirtschaft scharf.

Reinhart und Rogoff (R&R) genossen Anerkennung dank einem weithin bewunderten älteren Buch über die Geschichte der Finanzkrise mit einem perfekten Timing. Die Forschungsarbeit kam gerade nach dem Ausbruch der Griechenland-Krise und spielte die Hauptrolle für die Anhänger von Haushaltskonsolidierung von Stimulus auf Austerity zu schwenken. Die These wurde daraufhin sofort berühmt und sie war laut Krugman sicherlich eine der einflussreichsten wirtschaftlichen Analysen der letzten Jahre.

Tatsächlich standen Reinhart und Rogoff von Anfang an einer erheblichen Kritik gegenüber. Sobald das Paper veröffentlicht wurde, deuteten viele Ökonomen darauf hin, dass eine negative Korrelation zwischen Schulden und Wirtschaftswachstum nicht bedeute, dass hohe Verschuldung schwaches Wachstum verursache. Es könnte ebenso leicht anders herum sein, sodass schwaches Wirtschaftswachstum zu hohen Schulden führe.

Donnerstag, 18. April 2013

EU-Länder und Netto-Auslandsvermögen


Die These, dass die Euro-Krise durch unverantwortliche Haushaltsführung zustande gekommen ist, stimmt nicht. Es mag nur auf Griechenland zutreffen. Aber Spanien und Irland hatten beispielsweise am Vorabend der Finanzkrise von 2008 einen Überschuss im Haushalt und geringe Staatsverschuldung.

Wie die jüngsten Forschungsergebnisse zeigen, stimmt auch die These mit der 90%-Marke nicht.

Die Euro-Krise hat mit Staatsschulden nicht zu tun, sondern mit Zahlungsbilanz, lautet die eine Überschrift einer von Morgan Stanley heute vorgelegten Forschungsarbeit. Und dazu gibt es zwei bemerkenswerte Abbildungen.

Aus der ersten Abbildung geht hervor, dass der Verlauf der Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit zu rund 70% durch das Auslandsvermögen (d.h. NIIP, Net Foreign Asset Positions) erklärt werden kann.


Anleihemärkte werden nicht von der Staatsverschuldung, sondern vom Netto-Auslandsvermögen (NFA: Net Foreign Asset) angetrieben, Graph: Morgan Stanley in: 13th Annual Global Macro Forum, April 2013

R & R: Das Buch versus das Paper


In der FAZ gibt es heute einen informativen Artikel („Kenneth Rogoff: Der Krisenökonom“) von Patrick Bernau über die derzeit hohe Aufmerksamkeit ziehende, berechtigte Kritik über die These von Reinhart und Rogoff (R&R), wonach das Wirtschaftswachstum schrumpft, wenn die Staatsverschuldung die Marke von 90% im Verhältnis zum BIP überschreitet.

Die These ist das intellektuelle Gebäude der Anhänger der harschen Austeritätspolitik, auch wenn die Wirtschaft schwer angeschlagen ist.
Es steht im Artikel zu lesen, dass das Ergebnis des Buches von Carmen Reinhart und Ken Rogoff selbst von Paul Krugman gelobt worden sei. Aber Krugman heute Rogoff kritisiere.

Es stimmt nicht ganz. Denn Krugman hält es für wichtig, zwischen dem Buch („This Time is Different“) und dem Paper („Growth in a time of debt“) der Autoren zu unterscheiden.

Das Paper hat durch das Buch unverdiente Glaubwürdigkeit bekommen. Und das Buch dürfte inzwischen durch das Paper entwertet worden sein. Aber Krugman betrachtet das Buch und die Forschungsarbeit als „ganz anders“.

Das Buch folgt einer soliden Strategie: Es konzentriert sich nur auf extreme Ereignisse und dann beschreibt es, was um die Ereignisse herum geschieht. Wegen der Heftigkeit des Schocks war es angemessen, daraus zu folgern, dass, was um Krisen passiert ist, in der Tat mit der Krise zu tun hatte, sodass Probleme in Sachen Kausalität ausgelassen wurde.

Mittwoch, 17. April 2013

R & R: Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum


Die These von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart ist wieder in aller Munde. Die Autoren des BuchesThis Time is Different“ vertreten die Ansicht, dass, wenn die Staatsverschuldung in einem Land 90% des BIP erreicht, das Wirtschaftswachstum leidet.

Im Mittelpunkt der These (“Growth in a time of debt“), die im Sog der Finanzkrise von 2008 in den Medien und akademischen Kreisen hohe Wellen geschlagen hat, steht eine historische Betrachtung des Verhältnisses zwischen Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum.

Nun gibt es eine Buchbesprechung, wo die Ökonomen Thomas Herndon, Michael Ash und Robert Pollion von einem Verschlüsselungsfehler (coding error) reden.

Zum Hintergrund: Was an der ganzen Affäre interessant ist, dass es im Grunde genommen, wie Paul Krugman in seinem Blog bemerkt, zwei wissenschaftliche Forschungsergebnissen gibt, worauf sich politische Entscheidungsträger stützen, um die Austeritätspolitik mitten in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft zu begründen.


Wirtschaftswachstum und Schulden, GraphProf. Paul Krugman

Dienstag, 16. April 2013

EZB-Studie über Vermögen im Euro-Raum und Fehlschlüsse


Ist Deutschland das ärmste Land des Euro-Raums, wie eine Studie der EZB nahelegt?

Die Tatsache ist, dass Deutschland wesentlich reicher ist als die südeuropäischen Länder wie z.B. Spanien, Griechenland und Portugal, schreibt Paul De Grauwe in Zusammenarbeit mit Yuemei Ji in einem lesenswerten Artikel („Are Germans really poore than Spaniards, Italians and Greeks?“) in voxeu.

Es gibt scheinbar ein Problem der Verteilug des Vermögens in Deutschland, bemerkt der an der London School of Ecnomics lehrende Wirtschaftsprofessor. 

(1) Das Vermögen in Deutschland ist im höchsten Grade im oberen Teil der Haushalte (im Hinblick auf die Einkommensverteilung) konzentriert. 

(2) Ein grosser Teil des Vermögens in Deutschland wird nicht durch private Haushalte gehalten, sondern wahrscheinlich durch die Unternehmen oder den Staat.

Daher mag es nicht sinnvoll sein, die „armen“ deutschen Haushalte zu bitten, Ressourcen nach Südeuropa zu liefern. Es dürfte aber viel mehr sinnvoll sein, solche Anforderungen an den reichen Teil der deutschen Privathaushalte und an Unternehmen zu stellen.

De Grauwe liefert eigene Abbildungen, um seine Analyse zu unterstreichen:


Kapitalstock (Anlagevermögen) pro Kopf, Graph: Paul De Grauwe & Yuemei Ji in voxeu

Montag, 15. April 2013

Euro ohne Happy Ending


Tim Duy fragt in seinem Blog, wann wir alle endlich zugeben werden, dass der Euro gescheitert ist. Paul Krugman antwortet darauf in seinem Blog: Natürlich nie.

Zu viel Geschichte, zu viele Erklärungen, zu viel Ego wurden in die Einheitswährung investiert, sodass diejenigen, die involviert sind, wahrscheinlich jemals einräumen würden, dass sie einen Fehler gemacht haben, erklärt der Träger des Wirtschaftsnobelpreises. Wenn das Projekt Euro als Katastrophe endet, dann ist es nicht so, dass der Euro Europa zum Scheitern gebracht hat, sondern Europa den Euro.

Krugman fasst die Ansicht, die er bislang vertreten hat, erneut zusammen, woran Europa leidet. Der Startpunkt sind die späten 1990er Jahre. Europa war ein Kontinent mit vielen Problemen, aber es sah nicht nach einer Krise aus. Und es gab auch nicht viele Anzeichen, dass es auf einem untragbaren Weg war. Dann kam der Euro.

Die erste Wirkung war ein Ausbruch von Europhoria. Plötzlich glaubten Investoren, dass alle europäischen Staatsanleihen gleich sicher seien. Die Renditen sind rund um die Peripherie von Europa gefallen, was einen enormen Zustrom des Kapitals nach Spanien und in die anderen Volkswirtschaften ausgelöst hat. Der Kapitalzufluss hat an vielen Orten eine riesige Immobilien-Blase gefüttert und im Allgemeinen einen Boom in den Ländern ausgelöst, wo das Kapital ankam.

Die Booms haben im Gegenzug unterschiedliche Inflationsraten erzeugt: Kosten und Preise sind an der Peripherie stärker gestiegen als im Kern der Eurozone. Die peripheren Volkswirtschaften wurden zunehmend wettbewerbsunfähig, was kein Problem darstellte, solange die durch den Kapitalzufluss ausgelöste Blasen anhielten. Aber es würde ein Problem entstehen, sobald der Zustrom des Kapitals versiegen würde.

Goldbugs und Bitbugs


Die wilde Fahrt von Bitcoin dürfte wohl nicht das grösste Wirtschaftsthema der vergangenen Woche sein, aber sie war sicherlich die unterhaltsamste, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („The Antisocial Network“) am Montag in NYTimes.

Im Laufe von weniger als zwei Wochen hat sich der Preis der „digitalen Währung“ mehr als verdreifacht. Und dann ist er um mehr als 50% in wenigen Stunden abgestürzt. Plötzlich hat es sich so angefühlt, wie wenn wir zurück in der Dot-com-Ära wären.

Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Achterbahnfahrt war laut Krugman im Grunde genommen NULL. Aber der Furor über Bitcoin war eine nützliche Lektion über die Art und Weise, wie die Menschen das Geld missverstehen, und v.a. wie sie irregeführt werden, von dem Wunsch, den Wert des Geldes von der Gesellschaft, der es dient, zu trennen, erklärt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor.

Was ist Bitcoin? Es wird manchmal als eine Möglichkeit beschrieben, online Transaktionen zu machen. Aber das wäre ja nichts Neues in einer Welt von Kreditkarten und PayPal-Transaktionen. In der Tat schätzt das US-Handelsministerium, dass im Jahr 2010 rund 16% des Gesamtumsätze in Amerika bereits in Form von e-commerce geschehen ist.

Die grössten Investoren in Bitcoins sind nach eigenen Angaben die Winklevoss Brüder. Und sie erheben für das digitale Produkt ähnliche Ansprüche wie Goldbugs: „Wir haben gewählt, unser Geld und Glauben in einen mathematischen Rahmen, frei von Politik und menschliches Versagen, zu setzen“.

Sonntag, 14. April 2013

Rigide Löhne, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität


Auch im Euro-Raum und in den Nachbarländern gibt es Lohnrigidität. Und das Problem ist in Europa sogar viel grösser (als in den USA), wie Paul Krugman in seinem Blog bemerkt, wo die Anpassung (Korrektur) laut Brüssel und Berlin über „interne Abwertung“ (internal devaluation) erfolgen soll.

Es handelt sich dabei um EU-Länder, wo der Zustrom des Kapitals (aus der Kern der Eurozone) in der Zeitperiode von 2000 bis 2007 einen Boom (mit Lohnerhöhungen) ausgelöst hat. Die Lohnstückkosten sind so stark gestiegen, dass die Peripherie der Eurozone heute aufgefordert wird, Preise und Löhne zu kürzen, um Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Das ist wirklich schwer, formuliert Krugman, wenn die nominalen Löhne nach unten starr sind.

Es gibt aber Behauptungen, wonach die interne Abwertung im Euro-Raum bereits Erfolg habe. Die Produktivität sei angeblich angestiegen, was aber laut Krugman nur eine statistische Illusion ist. Irland sieht z.B. gut aus, aber nur weil der Pharma-Sektor sich gut geschlagen hat, während alle anderen Sektoren geschrumpft sind.

Krugman deutet auf die vom Eurostat neulich veröffentlichten Daten im Hinblick auf die Arbeitsksoten pro Stunde (ohne Landwirtschaft und öffentliche Verwaltung). Und die Zahlen zeigen nur wenig Bewegung in Nominallöhnen, mit Ausnahme von Griechenland.

Griechenland: -11,2%
Irland: +0,8%
Spanien: +8,3%
Estland: +7,0%
Lettland: +1,3%
Litauen: -1,4%

Wie viel Bank braucht der Mensch?

Buchbesprechung:

Thomas Fricke: Wie viel Bank braucht der Mensch. Raus aus der verrückten Finanzwelt. Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2013.



In diesem Buch geht es um die Geschichte der entgleisten Finanzglobalisierung, in der Länder in den Sog einer plötzlichen Risikoaversion von Anlegern und Bankern geraten können, wie sie in einer Post-Bubble-Economy typisch ist. Es ist daher wichtig, von Anfang an zu betonen, dass die Staatsschulden heute unzweideutig nach Ausbruch der globalen Finanzkrise gestiegen sind, nicht vorher. Sie sind nicht Ursache der Krise, wie das Schwäbisches-Hausfrauen-Theorem (SHT), vertreten durch Merkel und Schäuble uns weismachen will, sondern eher das Symptom.

Die Krise hat die Euro-Zone deshalb so getroffen, weil der Währungsclub auf so ein Marktversagen nicht vorbreitet war und die Verträge durch den Glauben an immer effiziente Finanzmärkte geprägt waren, bemerkt Thomas Fricke am Anfang des Buches.

Der Autor schildert vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Finanzglobalisierung im historischen Verlauf, um auf diese Weise das Bankenproblem darzustellen und zu verstehen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Behandlung der Moralfrage oder um den nachvollziehbaren Wut gegen Zocker, sondern vielmehr darum, ob „Finanzmärkte nach menschlichem Ermessen überhaupt wohlstandsfördernd funktionieren können“. Im Mittelpunkt steht folglich die Frage, ob die Idee von der grenzenlosen Globalisierung der Finanzmärkte ein Fehler war oder nicht.

Die Antwort ist klar. Der ehemalige Chefökonom (2002 bis 2012) der Financial Times Deutschland Fricke setzt sich zunächst mit monetaristischen Grundannahmen auseinander, wie z.B. dem „Vertrauen auf die stabilisierende Spekulation, mit der die Effizienz freier Märkte steht und fällt“. Die Suche gilt also der disziplinierenden Wirkung der Märkte, die über Jahre hinweg erst gar nicht reagieren, und dann panisch wie in der Euro-Krise im Hinblick auf die Peripherie.

Die vermisste Deflation


Es ist ohne Zweifel wahr, dass die Keynesianer sich in dieser Wirtschaftskrise insgesamt gut geschlagen haben. Die Erfolgsbilanz hat aber quasi einen Schönheitsfehler, wie Paul Krugman in seinem Blog bemerkt.

Die Deflation hat sich nämlich nicht so entwickelt wie erwartet. Die Inflation blieb sehr gedämpft. Krugman hat am Anfang eine Deflation à la Japan für möglich gehalten. Das ist jedoch nicht passiert. Und bemerkenswerterweise hat selbst Japan nicht mehr als eine sehr allmählich verlaufende Deflation erlebt. Warum?

Eine Möglichkeit ist, dass die Wirtschaft doch nicht so kraftlos endete wie man am Anfang eingeschätzt hat, sodass das Problem eher strukturell als konjunkturell war.

Eine andere Möglichkeit ist, wie Krugman früh angedeutet hatte, dass rigide Löhne (DNWR: downward nominal wage rigidity) erklären könnten, warum der ziemlich rasche Rückgang der Inflation in den vergangenen tiefen Rezessionen diesmal ausgeblieben ist. Wenn die Löhne nach unten starr sind, wird Inflation selbst in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft auf einem niedrigen Niveau „sticky“ (kurzfristig träge).

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, festzustellen, wie zwei aktuelle Studien (Hobijn & Daly auf der Fed-Konferenz in Boston und der IWF in World Economic Outlook) nahelegen, dass das Problem nicht strukturelle Arbeitslosigkeit ist, sondern die geringe Reaktionsfähigkeit der Inflation auf die Arbeitslosigkeit, wenn Inflation bereits niedrig ist.